WEG und Corona – Was ist zu beachten?
Die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus hat in Deutschland zu ganz erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und Wirtschaftslebens geführt. Dies betrifft auch Wohnungseigentümergemeinschaften, die jetzt und in den kommenden Monaten ihre jährlichen Eigentümerversammlungen abhalten würden. Da Versammlungen auf derzeit unabsehbare Zeit ausgeschlossen sein dürften und die notwendigen Beschlüsse zur Sicherung des Finanzwesens (Wirtschaftsplan 2020, Jahresabrechnung 2019, Sonderumlagen) nicht gefasst werden können, ist der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (CoV-2-Virus – Gesetz) aktiv geworden.
Für Wohnungseigentümergemeinschaften ordnet das CoV-2-Virus – Gesetz in Art. 2 die Fortgeltung der Verwalterbestellungen und Wirtschaftspläne an:
- 6 Wohnungseigentümergemeinschaften
(1) Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.
(2) Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.
Folgende Fragen stellen sich derzeit für Verwalter und Eigentümer bzw. Wohnungseigentümergemeinschaften:
- Dürfen Eigentümerversammlungen bei Ausgangssperre oder Kontaktverbot stattfinden?
Versammlungen dürfen derzeit nur stattfinden, soweit die jeweiligen Verordnungen der Länder dies zulassen. Dies dürfte, zumindest bei größeren Wohnungseigentümergemeinschaften, vorübergehend ausgeschlossen sein (Stichwort: „Kontaktverbot“). Es bleibt der schriftliche Beschluss nach § 23 Abs. 3 WEG, der immerhin bei kleineren und homogenen WEGen derzeit ein Mittel der Wahl ist. Zwar macht die Verwalterbranche bislang wenig Gebrauch von diesem Regelungsinstrument, weil immer mindestens ein Wohnungseigentümer nicht mit Ja stimmt oder erst gar nicht bei der Abstimmung mitmacht. Vielleicht aber bringt die Krise einen Sinneswandel.
- Wäre eine Online-Versammlung der Eigentümer möglich?
Eine Online-Versammlung (oder virtuelle Versammlung) würde derzeit durchaus Vorteile haben. Im geltenden Recht sind aber Online-Versammlungen, so sie nicht – was gerade in älteren Teilungserklärungen (Gemeinschaftsordnungen) nie der Fall ist – vereinbart sind, unzulässig. Allerdings kann der Verwalter von jedem Wohnungseigentümer eine Vollmacht erhalten. Dabei sollte versucht werden, den Verwalter nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG vorübergehend umfassend zu ermächtigen.
Videokonferenzen und digitale Gruppenkommunikationsmittel greifen immer mehr um sich und ziehen auch Zweifler und Nörgler in ihren Bann. Einen Versuch kann es wert sein. Voraussetzung ist freilich, dass der Verwalter alle Wohnungseigentümer digital (E-Mail, Mobilnummer) erreichen kann.
Schade und mutlos ist es, dass in dem Gesetz für Vereine, GmbH, Aktiengesellschaften und Genossenschaften deutliche Erleichterungen für eine elektronische Abstimmung enthalten sind, Wohnungseigentümergemeinschaften aber weiterhin warten müssen, bis der von der Bundesregierung beinahe zeitgleich ebenfalls vorgelegte Gesetzesentwurf zur Novellierung und Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes (WEModG) in Kraft treten wird. Denn mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes genügt für Beschlussfassungen im Umlaufverfahren die Textform (§ 23 Abs. 3 WEG-E in seiner angedachten Neufassung). Außerdem wird die online-Teilnahme an der Präsenz-Eigentümerversammlung ermöglicht, wenn eine Mehrheit dies gestattet. Offenbar traut der Gesetzgeber Wohnungseigentümern und ihren Verwaltern den großen Sprung jetzt noch nicht zu.
- Bleibt der Verwalter aktuell im Amt, wenn seine Bestellungszeit abläuft?
Hier gilt § 6 Abs. 1 des CoV-2-Virus – Gesetzes. Diese Bestimmung setzt § 26 Abs. 1 Satz 2 WEG vorübergehend außer Kraft. Läuft die Bestellungszeit eines Verwalters im Jahr 2020 oder später ab, bleibt die entsprechende Person auch ohne einen Beschluss der Wohnungseigentümer zunächst weiterhin Verwalter. Dies alles gilt, auch über die 3- bzw. 5-jährige Höchstdauer hinaus, bis zu einer anderweitigen Beschlussfassung der Wohnungseigentümer. Für den Normalfall wird die Vorschrift der Praxis helfen: Würde die gegenwärtige Bestellungszeit beispielsweise mit dem 30. April 2020 enden, bleibt der Amtsinhaber weiterhin Verwalter. Der Amtsfortsetzung wird er für gewöhnlich auch zustimmen, möglicherweise sogar – wegen der Notstandsgesetzgebung – nicht einmal zustimmen müssen, also insofern anders als bei der ursprünglichen Annahme des Amtes. Legt der Verwalter das gesetzlich verlängerte Amt (sogleich) nieder, wäre diese Amtsniederlegung nach allgemeinen Grundsätzen wirksam. Allerdings könnte sich der Verwalter schadenersatzpflichtig machen, weil es sich inmitten der Corona-Krise um eine Trennung zur Unzeit handeln könnte.
Schwierigkeiten tun sich auf, wenn der letzte im Amt befindliche Verwalter sein Amt bereits wieder verloren hatte. Nach der amtlichen Begründung soll die Vorschrift auch gelten, wenn die Amtszeit des Verwalters zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift bereits abgelaufen war (z. B. Ende 2019). Diese Anordnung kann im Einzelfall zu Problemen führen. Was ist mit dem Verwalter, der niedergelegt hat oder aus wichtigem Grund abberufen worden ist. Soll das Amt dennoch wieder aufleben? Es fragt sich auch, ob eine Person überhaupt gegen ihren Willen durch den Gesetzgeber in ein Amt gehoben werden kann. In der Praxis dürfte die vom Gesetzgeber wohl gewollte „Rückholaktion“ nicht greifen.
Ungeregelt geblieben ist das Schicksal des Verwaltervertrages. Nach Sinn und Zweck der Regelungen wird man aber annehmen können, dass sich auch der Verwaltervertrag bis zum Ende der fortgesetzten Bestellung verlängert. Für den Verwalter, dessen Amtszeit gesetzlich verlängert wird, kann es sich unter Vertrauensschutzgesichtspunkten anbieten, die Bereitschaft zur Fortsetzung der Bestellung zu erklären, allerdings verbunden mit dem Vorbehalt, sich nach Beruhigung der Situation eine angemessene Erhöhung seiner Verwaltervergütung genehmigen zu lassen. Denn unter gewöhnlichen Umständen wäre in vielen Fällen bei einer jetzt anstehenden Wiederbestellung die übliche Erhöhung der Verwaltervergütung fällig gewesen.
- Was passiert mit der Jahresabrechnung 2019?
Die Jahresabrechnung 2019 kann derzeit nicht genehmigt werden. Mit der Jahresabrechnung wird im Kern aber nur die Abrechnungsspitze beschlossen und als Forderung begründet. Benötigt ein Wohnungseigentümer für das Finanzamt oder eine eigene Abrechnung Daten, etwa wenn er Vermieter ist, muss er den Verwalter um Vorlage der Daten bitten.
- Gelten bereits genehmigte Wirtschaftspläne fort?
Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 2 des CoV-2-Virus – Gesetzes angeordnet, dass der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort gilt. Diese gesetzlich angeordnete Fortgeltung spielt nur dort eine Rolle, wo eine solche nicht bereits von den Wohnungseigentümern beschlossen worden ist. Anderenfalls hätte es der gesetzlichen Regelung nicht bedurft. Der bereits abgelaufene Wirtschaftsplan lebt damit wieder auf und ist Anspruchsgrundlage für die laufenden Hausgeldzahlungen.
- Stoppt Corona die Pflicht der Eigentümer zur Hausgeldzahlung?
Bis zum 30. Juni 2020 wird Verbrauchern durch Artikel 240 § 1 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) für Verträge, die Dauerschuldverhältnisse sind und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurden, ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden, wenn sie ihre vertraglichen Zahlungspflichten wegen der Folgen von Corona derzeit nicht erfüllen können. Dadurch soll gewährleistet werden, dass insbesondere Wohnraummietverträge nicht gekündigt werden können. Die Rechtsbeziehung zwischen Wohnungseigentümern und Gemeinschaft ist allerdings als Mitgliedschaftsrecht ausgestaltet. Die Mitgliedschaft ist kein Dauerschuldverhältnis im Sinne der Vorschrift. Die Gemeinschaft und der einzelne Wohnungseigentümer sind jeweils für sich betrachtet zwar Verbraucher. Die mitgliedschaftliche Rechtsbeziehung zwischen ihnen ist indes kein Verbrauchervertrag. Danach steht dem Wohnungseigentümer kein Leistungsverweigerungsrecht zu (auch nicht, wenn sein Mieter infolge von Corona seine Miete nicht zahlt!). Verwalter sollten die Eigentümer im Verzugsfalle darauf hinweisen und die Zahlungen anmahnen bzw. geltend machen.
- Kann der Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage weiterhin Maßnahmen zur Erhaltung des Objekts ergreifen?
Ja. Es bleiben – wie bisher – zum einen die laufenden Maßnahmen der erforderlichen ordnungsmäßigen Instandhaltung und Instandsetzung (§ 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 WEG). Hier ist der Verwalter grundsätzlich frei, in dem, was er tut. Anders ist es bei „dringenden“ Fällen zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 WEG). Hier kann der Verwalter nur Sicherungsmaßnahmen treffen, nicht aber solche, die der dauerhaften Behebung der Schadenursache dienen.
Verfasser: Rechtsanwälte Carsten Küttner, Dr. Jan-Hendrik Schmidt und Christian Säuberlich
W.I.R. Breiholdt Nierhaus Schmidt