Evergreen im öffentlichen Baurecht: Ablauf einer Baugenehmigung
Vor dreißig Jahren stellt das OVG Koblenz (Urteil vom 23.06.1994 – 1 A 11656/93) erstmals klar: Ist der Bauherr durch äußere, außerhalb seiner Risikosphäre liegende Umstände an der Nutzung seiner Baugenehmigung gehindert – wie etwa Nachbarwiderspruch und -klage –, ist der Ablauf der Geltungsdauer (in Hamburg drei Jahre ab Erteilung, § 73 Abs. 1 HBauO) entsprechend dem Gedanken aus dem zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften gehemmt, d.h. dieser Hinderungszeitraum wird nicht in die Ablaufzeit hineingerechnet.
Seitdem schlossen sich viele Obergerichte dieser Rechtsprechung an, unter anderem das OVG Hamburg, Beschluss vom 29.10.2014 – 2 Bs 179/14. Und dennoch hatte das OVG Münster im ersten Halbjahr 2024 über gleich vier Fälle im Wege der Berufungszulassung zu entscheiden (Beschlüsse vom 27.03.2024 – 2 A 2372/22, 2 A 2373/22 und 2374/22 sowie Beschluss vom 03.06.2024 – 2 A 1827/22) in denen es erneut die Hemmung der „Laufzeit“ einer Baugenehmigung durch äußere Umstände, insbesondere Nachbarklagen feststellte.
Kern der ständigen Rechtsprechung über drei Jahrzehnte. Der Zeitablauf einer bauordnungsrechtlich vorgesehenen Geltungsdauer der Baugenehmigung setze voraus, der Bauherr könne den Bau tatsächlich beginnen. So sei es einem Bauherrn nicht zuzumuten, wegen des unwägbaren Ausgangs einer Nachbarklage gegen sein Bauvorhaben das Risiko eines Baubeginns auf sich zu nehmen, selbst wenn Nachbarwiderspruch und -klage keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB haben.
Nachbarwiderspruch/-klage seien Fällen höherer Gewalt nach § 209 BGB i.V.m. § 206 BGB, Rechtsverfolgungen nach § 204 BGB oder von Verhandlungen gemäß § 203 BGB vergleichbar, die für zivilrechtliche Anspruchsdurchsetzung eine Verjährung hemmen. Gemäß dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG sprechen Gründe außerhalb der Risikosphäre des Bauherren gegen ein einfaches Fortlaufen der Geltungsdauer der Baugenehmigung. Für die Dauer von Nachbarwiderspruch und -klage sei der Ablauf der Geltungsdauer der Baugenehmigung somit unterbrochen.
Die Wiederholung der seit Langem bekannten Rechtsprechung überrascht wenig. Erstaunlich ist, diese immer wieder bestätigte Argumentation wird auch heute bis in die Berufungszulassungen hinein bezweifelt und angegriffen. Und in der Praxis kommt immer wieder die besorgte Frage auf, ob die Nutzbarkeit der Baugenehmigung durch nachbarlichen Rechtsschutz diese nicht über ihr „Verfallsdatum“ verzögert werden könne.
Verfasser: Dr. Christian Baumann