Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse als Sachmangel – was passiert mit Mieteransprüchen bei Optionsausübung?
OLG Brandenburg (3. Zivilsenat), Urteil vom 11.06.2024 – 3 U 23/23
Der Fall
Eine Mieterin hat im Jahr 2009 mit zwei Mietverträgen bei demselben Vermieter Gewerbeflächen angemietet, um darin zwei Spielhallen zu betreiben. Die Mietverträge waren für 5 Jahre abgeschlossen, mit der Möglichkeit des Mieters, diese zweimal, um je 5 Jahre zu verlängern.
Im Jahr 2017 hat die Stadt der Mieterin – die eine Spielhalle stets betrieb – die notwendige Erlaubnis für die zweite Spielhalle verweigert. Der Grund: Nach dem brandenburgischen Gesetz muss zwischen zwei Spielhallen ein Mindestabstand von 500 Metern bestehen. Da sich die beiden Spielhallen der Mieterin im gleichen Gebäudekomplex befanden, seien die Voraussetzungen für die Erlaubnis der zweiten Spielhalle nicht gegeben.
Vor dem Hintergrund, dass der Vermieter die Anfrage der Mieterin, wegen der mangelnden Nutzungsmöglichkeit die Miete absenken zu dürfen, ablehnte, hat die Mieterin gleichwohl weiterhin die volle Miete bezahlt.
Erst im Jahr 2020 forderte die Mieterin bereits gezahlte Mieten von dem Vermieter zurück.
Der Vermieter weigerte sich und berief sich auf § 814 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der besagt, dass derjenige gezahltes Geld nicht zurückfordern kann, der bei Zahlung wusste, dass eine entsprechende Verpflichtung nicht besteht. Da die Mieterin den Minderungsgrund bereits im Jahr 2017 kannte, ist der Vermieter der Auffassung, dass die Mieterin, die in Kenntnis des Mangels geleisteten Mieten nicht zurückfordern könne. Außerdem argumentierte der Vermieter, dass die Rückforderung gegen den Grundsatz von „Treu und Glauben“ (faires Verhalten im Geschäftsverkehr) verstoße.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg gab der Mieterin teilweise recht.
Es stellte fest, dass ein Mangel an der Mietsache vorliegt, wenn eine behördliche Erlaubnis für die vertraglich vereinbarte Nutzung verweigert wird.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Mangel im Falle öffentlich-rechtlicher Beschränkungen der Nutzungsmöglichkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn eine Nutzungsuntersagungsverfügung ergangen ist. Nach Auffassung des OLG Brandenburg ist die Versagung der Erlaubnis einer Nutzungsuntersagungsverfügung gleichzusetzen, da auch ein Verstoß insoweit ordnungswidrig wäre.
Wegen dieses Mangels war die Miete also kraft Gesetzes gemindert (§ 536 Abs. 1 BGB), so dass die Mieterin in Höhe der Minderung zu viel an den Vermieter gezahlt hatte. Grundsätzlich konnte die Mieterin damit die zu viel gezahlte Miete demnach zurückfordern, wenn dem nicht der Einwand des § 814 BGB entgegen stand. Da die Mieterin fälschlicherweise davon ausging, dass eine Mietminderung nur mit Zustimmung des Vermieters möglich sei, war ihr bei Zahlung der laufenden Mieten in voller Höhe nicht bewusst, dass sie jedenfalls teilweise nicht zur Zahlung verpflichtet war. Die Regelung des § 814 BGB griff also nicht, weil die Mieterin nicht bewusst zu viel gezahlt hatte.
Allerdings entschied das Gericht, dass die Mieterin ab dem Zeitpunkt, als sie im November 2019 die Verlängerungsoption ausübte, keine Rückforderung mehr geltend machen konnte.
Sich zunächst bewusst dazu entscheiden, einen Mietvertrag, der die Nutzung zum vertraglich vereinbarten Zweck nicht mehr gewährleistet, durch eine Verlängerungsoption einseitig zu verlängern, und dann im nachhinein Rückforderungsrechte wegen überzahlter Mieten geltend zu machen, sei nach Auffassung des OLG Brandenburg mit Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbaren.
Wesentliche Erkenntnisse aus dem Urteil
- Ein Mangel liegt bei Verstößen gegen öffentlich -rechtliche Vorschriften regelmäßig erst dann vor, wenn die zuständige Behörde die Nutzung des Mietobjektes untersagt oder ein behördliches Einschreiten ernsthaft zu erwarten ist. Die Versagung der Erlaubnis für die Spielhalle ist einer Nutzungsuntersagungsverfügung gleichzusetzen, da ein Verstoß hiergegen (ebenfalls) ordnungswidrig wäre.
- Geht der Mieter davon aus, dass eine Mietminderung nur mit Einverständnis des Vermieters möglich ist, und weiß er nicht, dass eine Minderung bereits kraft Gesetzes eintritt, greift der Rückforderungsausschluss nach § 814 BGB (Kenntnis der Nichtschuld) nicht.
- Der Mieter verhält sich treuwidrig, wenn er eine Verlängerungsoption in Kenntnis der fehlenden Nutzungsmöglichkeit zum vereinbarten Vertragszweck ausübt und dann im Nachhinein Rückforderungsrechte wegen überzahlter Mieten geltend macht.
- Zu der Frage, ob bereits die Ausübung des Minderungsrechts durch Zahlung der reduzierten Mieten nach Ausübung der Verlängerungsoption treuwidrig gewesen wäre, oder ob vielmehr erst der Umstand, dass die Mieten zunächst anstandslos gezahlt wurden und sodann zurückgefordert wurden, zur Treuwidrigkeit führt, verhält sich das Urteil nicht.
Nach Auffassung der Verfasserin käme ein Ausschluss der Minderung unter Berufung auf die Grundsätze von Treu und Glauben allenfalls dann in Betracht, wenn das Mietobjekt aufgrund eines vom Vermieter nicht zu beseitigenden Mangels vollständig unbrauchbar (und die Miete damit faktisch auf 0 gemindert) ist.
Denn es kann nicht sein, dass der Mieter, der das Mietobjekt zumindest in Teilen noch zum vertraglich vereinbarten Zweck nutzen kann, mit der Geltendmachung der Minderung nur deshalb ausgeschlossen ist, weil er eine Verlängerungsoption gezogen hat. Dies würde unter Umständen dazu führen, dass ein Mieter schon bei dem Vorliegen von kleineren Mängeln, die beispielsweise zu einer Mietkürzung von 20% führen, von der Ausübung einer Verlängerungsoption abgehalten würde, da er sich hierdurch sämtliche Minderungsrechte abschneiden würde.
Bei einer vollständigen Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit, die vom Vermieter nicht oder nur mit einem unzumutbaren wirtschaftlichen Aufwand zu beseitigen wäre, könnte eine Treuwidrigkeit gegeben sein, da der Mieter das Vertragsverhältnis bewusst in Kenntnis das Mietobjekt nicht nutzen zu können, verlängert, um sodann die Miete auf 0 zu mindern. In einem solchen Fall hätte der Mieter ggf. keinen Vorteil aus der Verlängerung , der Vermieter jedoch erhebliche Nachteile, da das Mietobjekt leer stehen würde ohne dass der Vermieter einen Ertrag generieren könnte.
Verfasserin: RAin Lisa Gündoğdu LL.M.