Vorschussanspruch des Bestellers trotz Minderungsverlangen
Der Besteller einer Werkleistung kann von einem Werkunternehmer auch dann noch Vorschuss zur Beseitigung von Mängeln verlangen, wenn er zuvor Minderung des Werklohns wegen derselben Mängel verlangt hatte. Dies hat der BGH in seinem Urteil vom 22. August 2024 – VII ZR 78/22 entschieden und damit die Rechte des Bestellers gestärkt.
Worum geht es?
Dem Besteller einer Werkleistung steht nach erfolglosem Ablauf einer von ihm gesetzten Frist zur Mängelbeseitigung das Wahlrecht zu, ob er weiterhin Nacherfüllung oder eines der sog. Sekundärrechte verlangen will. Also Selbstvornahme (Mängelbeseitigung durch den Besteller selbst) mit Kostenvorschuss hierfür, Schadensersatz statt der Leistung (sog. kleiner Schadensersatz), Minderung oder Rückabwicklung (Rücktritt oder sog. großer Schadensersatz). Entscheidet sich der Besteller für die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung oder Minderung bringt er damit zum Ausdruck, dass er an einer Mängelbeseitigung nicht interessiert ist, sondern stattdessen einen finanziellen Ausgleich für die Mangelhaftigkeit des Werkes erlangen möchte. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Besteller bei Geltendmachung eines dieser beiden Rechte nicht so weit festlegt, dass er dann nachträglich nicht mehr zu Ansprüchen zur Durchführung einer Mängelbeseitigung, wie Nacherfüllung oder Vorschuss auf Selbstvornahmekosten weiter wechseln kann.
Die Entscheidung
In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Besteller die Bezahlung der Schlussrechnung für die Errichtung eines Einfamilienhauses verweigert, weil er sich vorwiegend wegen Schallschutzmängeln auf eine Minderung des Werklohns berufen hatte. Gegen die Zahlungsklage des Unternehmers erhob der Besteller Widerklage, soweit der merkantile Minderwert des Hauses über die Werklohnforderung hinausging. Allerdings konnte der Besteller die von den Vorinstanzen verlangten Anforderungen an die Darlegung des sich konkret ergebenden Minderungsbetrages nicht erbringen. Deshalb stellte der Beklagte seinen Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung um. Der Unternehmer argumentierte dagegen, dass der Besteller zum Wechsel auf den Vorschussanspruch nicht mehr berechtigt sei, nachdem er durch die Geltendmachung der Minderung sich dahingehend festgelegt habe, dass er die Beseitigung der Mängel nicht mehr verfolgen und deshalb auch dafür keinen Vorschuss mehr verlangen würde.
Der BGH gab in seiner Urteilsbegründung vom 22. August 2024 aber genauso wie die Vorinstanz dem Besteller Recht und stellte klar, dass ein früheres Verlangen nach Minderung der Vergütung den Besteller nicht daran hindere, sich später um zu entscheiden und doch noch Vorschuss für eine Mängelbeseitigung im Wege der Selbstvornahme zu verlangen. Ein Anspruchsverlust regele das Gesetz nämlich lediglich in § 634 Nr. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift könne der Besteller nicht mehr Nacherfüllung, also Mängelbeseitigungsarbeiten durch den Unternehmer verlangen, wenn er Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Dies habe der BGH in einer früheren Entscheidung gleichlautend auch für die Minderung entschieden, nach deren Geltendmachung der Besteller dann vom Unternehmer ebenfalls keine Arbeiten mehr zur Mängelbeseitigung verlangen könne (BGH Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/25). Für den Ausschluss der auf Zahlung gerichtet Ansprüche auf Vorschuss oder Kostenerstattung gebe es nach der Urteilsbegründung eine vergleichbare gesetzliche Regelung jedoch nicht. Vielmehr könnten nach der gesetzlichen Wertung die Ansprüche auf Minderung einerseits sowie auf Selbstvornahme und Vorschuss andererseits nebeneinander bestehen.
Gegenüber einem Wechsel zwischen diesen Rechten durch den Besteller sei der Unternehmer auch nicht schutzwürdig. Nach Geltendmachung der Minderung dürfe ein Unternehmer seinen Betrieb zwar darauf einrichten, dass er selbst nicht mehr Mängelbeseitigungsarbeiten ausführen muss (§ 634 Nr. 1 BGB). Da der Unternehmer aber doppelt vertragsbrüchig sei, weil er erst ein mangelhaftes Werk hergestellt habe und dann auch seiner Pflicht zur Nacherfüllung nicht nachgekommen sei, gebe es keinen Grund dafür, dem Besteller zusätzlich die Möglichkeit abzuschneiden, die vollen Mängelbeseitigungskosten verlangen zu dürfen und ihn dadurch auf dem wirtschaftlichen Restschaden sitzen zu lassen. Der Unternehmer unterlag daher in voller Höhe der eingeforderten Mängelbeseitigungskosten.
Folgen für die Praxis:
Mit dieser Entscheidung hat der BGH weitere Klarheit zum Verhältnis der Sekundäransprüche zueinander und zum Wahlrecht des Bestellers geschaffen. Hinsichtlich des Verlustes des Nacherfüllungsanspruches bei Geltendmachung von Minderung oder kleinem Schadensersatz behandelt der BGH beide Mängelrechte gleich. Dasselbe gilt dann auch für die Möglichkeit des Bestellers, nachträglich die Zahlung der vollen Mängelbeseitigungskosten als Vorschuss oder als Erstattung von Selbstvornahmearbeiten einzufordern. Dies hilft Bestellern, weil vor Gericht die Darlegung des Minderungsbetrages und des abstrakten Schadensersatzes aufwendig ist und sich an einer konkreten Wertbeeinträchtigung des Grundstückes orientieren muss. Die Mängelbeseitigungskosten sind dagegen zumeist einfacher durch eine Kostenschätzung oder ein Vergleichsangebot darzulegen und dürften häufig höher als eine Wertbeeinträchtigung des Grundstücks ausfallen. Durch die Entscheidung hält der BGH dem Besteller, der sich frühzeitig auf eine Minderung oder kleinen Schadensersatz stützt, noch eine Hintertüre offen. Der BGH weist in seiner Entscheidung vom 20. August 2024 aber ergänzend darauf hin, dass schon nach seiner bisherigen Rechtsprechung die Geltendmachung einer Minderung nicht nur dazu führe, dass der Anspruch auf Nacherfüllung entfällt, sondern auch eine Rückabwicklung des Vertrages durch Rücktritt oder den sogenannten großen Schadensersatz für den Besteller entfalle (BGH Urteil vom 19. Januar 2017 – VII ZR 235/25; BGH Urteil vom 9. Mai 2018 -VIII ZR 26/17 zum Kaufrecht). An dieser Beschränkung des Wahlrechts ändert das jüngst ergangene Urteil nichts. Völlig frei von Konsequenzen ist daher die Geltendmachung einer Minderung der Vergütung für den Besteller nicht.
Verfasser: RA Christopher Nierhaus