Genehmigungsfiktion – Anforderungen an vollständige Bauvorlagen
Bauvorlagen sind nur dann vollständig und führen zum Beginn der Bearbeitungsfrist der Behörde, wenn geplante Aufschüttungen bezogen auf das gesamte Grundstück dargestellt werden (Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 15.01.2024, 12 K 4309/19).
Worum geht es?
Gemäß § 61 Abs. 3 Satz 4 der Hamburgischen Bauordnung (HBauO) gilt eine im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren beantragte Baugenehmigung als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der Bearbeitungsfristen aus § 61 Abs. 3 Satz 1 bis 3 HBauO versagt wurde. § 61 Abs. 3 Satz 1 HBauO ergänzt, dass über den Bauantrag innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Eingang der vollständigen Unterlagen zu entscheiden ist. Lehnt die Behörde es ab, den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu bestätigen, kann der Bauherr auf Feststellung des Fiktionseintritts beim zuständigen Verwaltungsgericht klagen. Das Gericht überprüft im Klagverfahren objektiv, ob die Bauvorlagen vollständig sind und somit die Bearbeitungsfrist in Gang gesetzt wird; es ist dabei nicht an die Einschätzung der Behörde gebunden.
Die Entscheidung
In dem vom Verwaltungsgericht Hamburg entschiedenen Fall hat ein Bauherr auf Feststellung geklagt, dass sein Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Wohngebäude im vereinfachten Genehmigungsverfahren als genehmigt gilt. Die Behörde habe über die vollständigen Unterlagen nicht innerhalb der gesetzlichen Bearbeitungsfrist entschieden. Der Bauherr hatte zuvor u.a. einen Lageplan eingereicht, aus dem sich die vorhandene und die geplante Höhe der natürlichen Geländeoberfläche auf dem Grundstück ergab, jedoch nur für einen rund 35 m tiefen Teil des insgesamt rund 50 m tiefen Grundstücks. In diesem Bereich wurde eine Aufschüttung von rund 50 cm dargestellt.
Das Gericht hat die Klage des Bauherrn abgewiesen. Die Unterlagen seien nicht vollständig gewesen. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Bauvorlagenverordnung (BauVorlVO) in der hier maßgeblichen Fassung aus 2010 waren für die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung baulicher Anlagen, die einem Verfahren nach § 61 HBauO unterlagen, Bauzeichnungen vorzulegen. Darin waren gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 2.2 und Nr. 3 BauVorlVO u.a. Schnitte, aus denen u.a. der Anschnitt der vorhandenen und der geplanten Geländeoberfläche ersichtlich ist, sowie Ansichten der geplanten baulichen Anlage unter Angabe der vorhandenen und geplanten Geländeoberfläche darzustellen. Nach § 1 Abs. 7 BauVorlVO sollte die Bauaufsichtsbehörde zwar auf Bauvorlagen verzichten, wenn diese im Einzelfall zur Beurteilung des Vorhabens nicht erforderlich waren. Im vorliegenden Fall waren Angaben zur vorhandenen und geplanten Geländeoberfläche aber zur Prüfung der Genehmigungsfähigkeit zwingend erforderlich – und das nicht lediglich für einen Teil des Grundstücks, sondern für das gesamte Grundstück.
Das Gericht begründet dies damit, dass Aufschüttungen je nach ihrem Umfang und ihrer Ausgestaltung (ggf. unter Zuhilfenahme von Stützmauern) Abstandsflächen auslösen oder eine Einleitung von Niederschlagswasser auf Nachbargrundstücke verursachen oder verstärken können. Die Behörde müsse im Einzelfall anhand der Darstellungen in den Bauvorlagen in der Lage sein zu prüfen, ob nachbarlicher Rechte verletzt werden. Dies könne aufgrund der Unbestimmtheit des Umfangs der geplanten Aufschüttungen nicht ausgeschlossen werden. So sei schon nicht ersichtlich, ob auch der hintere Grundstücksbereich aufgeschüttet werden solle oder eine Abbruchkante geplant sei. Aus diesem Grund sei entgegen der Auffassung des Bauherrn nicht anzunehmen, dass die Behörde vorliegend gehalten gewesen wäre, nach § 1 Abs. 7 BauVorlVO auf die Vorlage weiterer Bauvorlagen zu verzichten.
Es komme auch nicht darauf an, ob die einzelne Aufschüttung für sich genommen nach Abschnitt I Nr. 8 der Anlage 2 zur HBauO grundsätzlich verfahrensfrei gewesen wäre. Denn nach Satz 5 des einleitenden Hinweises in der Anlage 2 zur HBauO werden auch solche Vorhaben, die nach der Anlage 2 zur HBauO grundsätzlich verfahrensfrei sind, in ein Baugenehmigungsverfahren einbezogen, wenn sie Teil eines in einem solchen Verfahren zu prüfenden Vorhabens sind.
Folgen für die Praxis
Bauherren und Architekten sind gut beraten, die Bauvorlagen jederzeit kritisch auf Vollständigkeit zu prüfen. In Genehmigungsverfahren muss die Behörde objektiv betrachtet in die Lage versetzt werden, das Bauvorhaben insbesondere hinsichtlich einer möglichen Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften vollumfänglich zu prüfen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts macht deutlich, dass auch bei geplanten Aufschüttungen vollständige Darstellungen bezogen auf das gesamte Grundstück zwingend erforderlich sind. Sind die Unterlagen nicht vollständig, kann dies im weiteren Verlauf eines Genehmigungsverfahrens unangenehme Folgen haben. Im vorliegenden Fall trat während des laufenden Verfahrens eine Veränderungssperre in Kraft, die dem Bauvorhaben entgegenstand. Hätte der Bauherr vorher vollständige Unterlagen eingereicht, hätte er sich auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion berufen und trotz der späteren Veränderungssperre die Baugenehmigung erhalten.