Versammlungszeit: Die Eigentümerversammlung vor 17:00 Uhr – ein Blick in die Glaskugel
Der Beginn der Eigentümerversammlung (Versammlungszeit) ist ebenso häufig Anknüpfungspunkt für eine Beschlussklage wie die Versammlungsdauer oder der Versammlungsort. Bei der Festlegung der Versammlungszeit geht es um Fragen der Zumutbarkeit bzw. des Ermessens sowie um solche des Minderheitenschutzes. Die Rechtsprechung zu diesem Thema ist uneinheitlich, was aber nicht nur den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls geschuldet ist, sondern auch dem Zeitpunkt der hier maßgeblichen gerichtlichen Entscheidung.
Das WEG enthält keine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber, zu welchem Zeitpunkt eine Versammlung der Wohnungseigentümer stattfinden soll. Jedenfalls ist der genaue Zeitpunkt (= Uhrzeit) der gemäß § 24 Abs. 1 WEG zumindest jährlich von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einzuberufenden Versammlung nicht gesetzlich vorgegeben.
Die Festlegung des Versammlungszeitpunktes einer Präsenz-, Hybrid- oder virtuellen Versammlung obliegt insoweit – wenn keine entgegenstehende Vereinbarung existiert – der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), diese handelnd durch deren Organ, dem Verwalter. Der Verwalter hat nach billigem, pflichtgemäßem, gerichtlich nachprüfbarem Ermessen zu entscheiden. Einer vorherigen Rücksprache bzw. Absprache mit den Eigentümern oder dem Verwaltungsbeirat bedarf es nicht. Manchmal macht eine solche aber Sinn. Die Ermessensgrenzen ergeben sich aus der Funktion der Wohnungseigentümerversammlung als Ort der gemeinsamen Willensbildung. Die Versammlungszeit muss verkehrsüblich und zumutbar sein. Eine Einberufung zur „Unzeit“ ist im Regelfall nicht zulässig.
Bisher gilt: Der Einberufende soll möglichst allen Eigentümern die Wahrnehmung ihrer Rechte ermöglichen und dabei die wechselseitigen Belange abwägen. Er darf sich nicht allein an den Belangen der Mehrheit orientieren. Es gilt der Minderheitenschutz. Bei Abwägung der Eigentümerinteressen muss der Einberufende insbesondere den Belangen berufstätiger Wohnungseigentümer Rechnung tragen. Grundsätzlich soll nicht vor 17:00 Uhr terminiert werden, da davon auszugehen sei, dass Eigentümer berufstätig sind und von ihnen nicht verlangt werden könne, für eine Eigentümerversammlung Urlaub zu nehmen.
Für die Praxis gibt es Erhebungen, wonach bereits mehr als ein Drittel der Eigentümerversammlungen vor 17:00 Uhr beginnen. Auch in gerichtlichen Entscheidungen wird die bisherige Rechtsprechung infrage gestellt: „Ob daran im Lichte veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen – etwa die Verknappung des Angebots von Fachkräften oder die heutigen Anforderungen der (jungen) Arbeitnehmer an ihre sog. Work-Life-Balance, durch die die WEG-Verwaltungen gerichtsbekanntermaßen vor Herausforderungen bei der personellen Besetzung von Eigentümerversammlungen „in den späten Abend hinein“ stehen – sowie der Digitalisierung mit der Möglichkeit zur Durchführung einer hybriden Eigentümerversammlung i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 WEG oder – zukünftig – einer rein virtuellen Versammlung … überhaupt festzuhalten ist, bedarf hier keiner Entscheidung, … (AG Hamburg-St. Georg, Urteil vom 01.12.2023 – 980b C 31/22 WEG).
Die virtuelle Eigentümerversammlung ist inzwischen gesetzlich geregelt (§ 23 Abs. 1a WEG). Insoweit werden sich die Gerichte künftig mit den v. g. Argumenten beschäftigen (müssen). Es bleibt abzuwarten, ob in der Rechtsprechung ein (schnelles) Umdenken erfolgen wird.
Die Verwalterbranche befindet sich in einem Umbruch. Klimaschutz und Regelungsdichte treffen auf Fachkräftemangel und Mitarbeitende, denen eine Work-Life-Balance wichtig ist. Damit Gemeinschaften in Zukunft noch „verwaltbar“ sind, müssen sich die veränderten Rahmenbedingungen in der Rechtsprechung wiederfinden. Aber auch auf Seiten der Eigentümer braucht es ein Umdenken. In vielen Jobs und Berufen herrschen flexible Arbeitszeitmodelle. Insbesondere zur Begründung einer Beschlussklage wird es nicht mehr genügen, sich pauschal auf die Unzumutbarkeit einer Eigentümerversammlung vor 17:00 Uhr zu berufen.
Die virtuelle Eigentümerversammlung dürfte künftig (noch mehr) Raum bieten für flexible Versammlungszeiten. Dies gilt auch für die (wenig beliebte) Hybridversammlung. Aufwendige An- und Abfahrtzeiten entfallen bzw. können durch die Online-Teilnahme vermieden werden. Von daher wird künftig weniger die Frage sein, ob Eigentümerversammlungen vor 17 Uhr „zumutbar“ sind. Es dürfte vielmehr darum gehen, ob es überhaupt Tageszeiten gibt, die „unzumutbar“ sind. Die alte Denke, dass über das Wohnungseigentum als häufig größter Vermögenswert der Eigentümer/innen (nur) nach Feierabend gesprochen werden darf, ist nicht mehr zeitgemäß.
Verwalter sollten ungeachtet dessen in den Verwalterverträgen entweder Versammlungszeiten vorgeben, zumindest aber für Versammlungen spät nachmittags/ abends bzw. am Wochenende eine Sondervergütung verlangen. Mehrkosten können einen pädagogischen Einfluss auf die Eigentümer haben…