Der objektüberwachende Architekt und das ausführende Unternehmen haften als Gesamtschuldner – meistens jedenfalls
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Dezember 2022 – VII ZR 90/22 entschieden: Es liegt keine gesamtschuldnerische Haftung vor, wenn zwischen der Leistung des Architekten und des ausführenden Unternehmens keine Gleichstufigkeit der Leistung vorliegt. Die von dem BGH behandelte Sonderkonstellation bietet Anlass die Gesamtschuld einmal zu durchleuchten.
Die klassische Konstellation: Bei Bauausführung wird ein Mangel verursacht, den der Architekt im Rahmen seiner Tätigkeit als Objektüberwacher hätte erkennen und verhindern müssen. Wer haftet in diesem Fall? Mit der Reform des gesetzlichen Werkvertragsrechts im Jahr 2018 hat der Gesetzgeber § 650 t BGB eingeführt. Danach haften der Architekt und das ausführende Unternehmen als Gesamtschuldner gegenüber dem Bauherrn, wenn der Bauherr vor Mitinanspruchnahme des Architekten dem ausführenden Unternehmen erfolglos eine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat. Eine gesamtschuldnerische Haftung bedeutet, dass der Bauherr sowohl den Architekten als auch das ausführende Unternehmen gleichzeitig in voller Höhe in Anspruch nehmen kann und die Leistung durch einen der Gesamtschuldner im Verhältnis zum Bauherrn als Erfüllung gilt (§ 421 Satz 1 BGB). Der Ausgleich zwischen dem Architekten und ausführendem Unternehmer findet dann nach dem Verschuldensgrad im Innenverhältnis statt.
Die Vorgeschichte des Urteils: Der Architekt war in den Leistungsphasen 1-9 beauftragt. Drei ausführende Unternehmen wurden mit Gipsarbeiten und Blechnerarbeiten beauftragt. Die Leistungen der ausführenden Gewerke und die Architektenleistungen der Leistungsphasen 1-8 (also bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens) wurden abgenommen. Jahre später traten mangelbedingte Feuchtigkeitsschäden auf. Im Mängelgewährleistungsprozess zwischen Bauherrin, dem Architekten und den ausführenden Unternehmern stellte sich heraus, dass Ansprüche gegen die ausführenden Unternehmen und gegen den Architekten aus der Leistungsphase 1-8 verjährt waren; Ansprüche gegen den Architekten wegen möglicher Pflichtverletzung in der Leistungsphase 9 (Objektbetreuung während der Gewährleistungsphase) waren aber noch unverjährt. Es kam zu einem weiteren Verfahren der Bauherrin gegen den Architekten, das mit einem Vergleich beendet wurde.
Die klagende Haftpflichtversicherung des Architekten begehrte in einem weiteren Verfahren Ausgleich nach Verschuldensanteilen von den ausführenden Gewerken, weil hier ein Gesamtschuldverhältnis bestehen würde. Sie vertrat die Auffassung, dass die Pflichtverletzungen in der Leistungsphase 9 darin bestehen würde, dass der Architekt die sachverständige Untersuchung von Feuchtigkeitserscheinungen unterlassen habe, die nach der Abnahme der Bauleistungen aufgetreten und von den ausführenden Gewerken verursacht waren. In der Konsequenz seien die Mängelansprüche der Bauherrin gegen die Baubeteiligten aufgrund der Verjährung nicht mehr durchsetzbar gewesen. Während die Beklagten die Verjährungseinrede erhoben, hielt die klagende Haftpflichtversicherung des Architekten entgegen, dass hinsichtlich der Leistungsphase 9 keine Verjährung eingetreten war und durch die bestehende Gesamtschuldnerschaft die Beklagten zum Gesamtschuldnerausgleich verpflichtet seien.
Der BGH hatte über das Vorliegen der Voraussetzungen der Gesamtschuldnerschaft zu entscheiden. Der 7. Senat stellte klar, dass die Voraussetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung ist, dass zwischen den Haftenden aufgrund der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen eine Tilgungsgemeinschaft bestehe. Sie fehle, wenn der Leistungszweck der einen gegenüber der anderen Verpflichtung nachrangig ist. Der Schadensersatzanspruch gegen den Architekten sei nicht vor Eintritt der Verjährung der gegen den ausführenden Unternehmer gerichteten Mängelansprüche entstanden. Der seitens der Bauherrin vom Architekten insoweit ersetzt verlangte Schaden sei nach dem Eintritt der Verjährung der gegen das ausführende Unternehmen gerichteten Mängelansprüche eingetreten. Die Pflichtverletzung des Architekten bestehe darin, dass er die Mängel nicht richtig verfolgt hat. Eine Mängelbeseitigung durch den ausführenden Unternehmer wirke nicht als Erfüllung von Ansprüchen des Bauherrn gegen den Architekten. Vielmehr führe sie dazu, dass der genannte Schadensersatzanspruch gegen den Architekten gar nicht erst entsteht.
Der BGH hat das Rad hier nicht neu erfunden. Dennoch zeigt die Entscheidung, dass es sich lohnt Haftungskonstellation zwischen den Baubeteiligten besonders dann zu durchleuchten, wenn der Architekt auch mit Leistungsphase 9 beauftragt wurde und eine Teilabnahme der Leistungen der Leistungsphasen 1-8 vereinbart wurde. Eine Gesamtschuld zwischen den ausführenden Unternehmen und dem Architekten besteht nicht ausnahmslos.