Der lange Schatten „geschwänzter“ Baubesprechungen
Ein fakultativer Bieterausschluss wegen Schlechtleistung gemäß § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A kann nach der Vergabekammer des Bundes unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bereits ausreichend damit begründet sein, dass ein Bauunternehmen in einer vorherigen Beauftragung die überwiegende Anzahl von vereinbarten Besprechungsterminen nicht wahrnahm.
Ein u.a. mit der Wärmeverbunddämmung beauftragtes Unternehmen führte die Arbeiten nur teilweise aus, da es mit dem Auftraggeber in Streit um die Berechtigung von Behinderungsanzeigen und der Einhaltung der der Beauftragung zugrundeliegenden Planung geriet. Es blieb den gemäß Vertragsbedingungen wöchentlich abzuhaltenden Baubesprechungen fern, da es zunächst die umstrittenen Fragen geklärt sehen wollte. Schließlich kündigte der öffentliche Auftraggeber den Auftrag unter Berufung auf den Leistungsverzug des Unternehmens außerordentlich gemäß § 5 Abs. 4 VOB/B.
Die umstrittenen Wärmedammarbeiten wurden erneut ausgeschrieben. Das soeben gekündigte Unternehmen gab ein Angebot ab und erklärte i.R.d. Eigenerklärung zur Eignung (VHB-Formulars 124), es liegen keine Ausschlussgründe gemäß § 6e EU VOB/A vor. Schließlich gab es in dem reinen Preiswettbewerb das günstigste Angebot ab.
Der öffentliche Auftraggeber prognostizierte aufgrund der jüngst ausgesprochenen Kündigung sei auch künftig von einer fehlenden Leistungsfähigkeit bzw. Leistungswilligkeit auszugehen. Das Unternehmen erhielt die Möglichkeit Stellung zu einer Selbstreinigung zu nehmen, antwortete aber darauf, die Kündigung sei unberechtigt und daher bestehe unternehmensseitig kein Selbstreinigungsbedarf. Sodann wurde das Unternehmen gemäß § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A ausgeschlossen. Dagegen stellte das Unternehmen einen Nachprüfungsantrag.
Die Vergabekammer des Bundes entschied (Beschluss vom 17.08.2023 – VK 2 56/23): Der Ausschluss ist rechtmäßig und stellte zunächst (wenig überraschend) die bereits die Kündigung rechtfertigende Mangelhaftigkeit der ausgeführten Arbeiten fest.
Viel interessanter: Das Fernbleiben bei der überwiegenden Anzahl der Jour Fixe-Termine (22 von 31 nicht anwesend) stellt einen eigenständigen, den Ausschluss rechtfertigender Mangel dar. Denn eine Schlechtleistung i.S.d. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A kann auch jenseits der eigentlichen Auftragsausführungen im „kaufmännischen Teil“ des Vertrages stattfinden. Dabei greift die Vergabekammer des Bundes ausdrücklich die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 03.10.2019 – C 267/18) und des OLG Frankfurt/Main (Beschluss vom 03.05.2018 – 11 Verg 5/18) zum ungenehmigten Nachunternehmereinsatz als ausreichenden fakultativen Ausschlussgrund auf. Die Teilnahme an in den Vertragsbedingungen festgelegten Baubesprechungen stellt eine wesentliche und erhebliche Hauptleistungspflicht dar (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – VII-Verg 7/18), die selbst durch letztlich erläutertes (aber nicht entschuldigtes) Fernbleiben verletzt ist. Denn die vertraglich vereinbarten Baubesprechungen sind ein wichtiges Koordinationsinstrument eines öffentlichen Auftraggebers jenseits der jeweils für die einzelnen Gewerke konkret anstehenden Arbeiten. Da diese Termine zur Lösung von Problemen und Konflikten beitragen können, wie etwa jenem mit dem ausgeschlossenen Unternehmen, ist es verhältnismäßig, dieses Unternehmen in nachfolgenden Ausschreibungen gemäß § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auszuschließen. Gemäß der Vergabekammer des Bundes wurde keine Sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung angestrengt.
Letztlich eine konsequente Entscheidung. Wenn ein Unternehmen einerseits Behinderungsanzeigen ausspricht und Planungsänderungen moniert, so kann wohl verlangt werden, die vertraglich vorgesehenen Gesprächsformate zu deren Klärung zu nutzen oder es zumindest dort zu versuchen.
Besonders ärgerlich! Der fakultative Ausschlussgrund des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A bzw. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB kann nicht nur der von der vorherigen Schlechtleistung betroffene, sondern potenziell jeder weitere öffentlichen Auftraggeber anwenden. Der Ausschlusstatbestand ist auftragsbezogen, nicht auftraggeberbezogen („[…], wenn im Rahmen der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags – nicht notwendigerweise desselben Auftraggebers – das Unternehmen eine wesentliche Anforderung erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat […], Deutscher Bundestag, Drucksache 18/6281, S. 106).
Daher: „Schwänzen“ von Baubesprechungen kann viel mehr sein als eine nicht ausschlusswürdige Unhöflichkeit (siehe Vergabekammer Sachsen, Beschluss vom 27. 12. 2019 – 1/SVK/037-19) und einen sehr langen Schatten werfen.