Bauvertrag und Corona
Die Corona-Pandemie bestimmt weiterhin das öffentliche Leben. Die behördlichen Auflagen und Beschränkungen zum Infektionsschutz können sich vielfach auf den Bauablauf auswirken. Beispielsweise kann sich die Materiallieferung oder der Einsatz von Arbeitskräften aus dem Ausland aufgrund der Grenzschließungen verzögern oder ganz ausbleiben. Mitarbeiter der Bauunternehmen können sich infizieren und müssen dann in Quarantäne bleiben. Schlimmstenfalls ist ein ganzer Betrieb von Quarantäneanordnungen betroffen und stillgelegt. W∙I∙R stellt Fragen zusammen, vor die sich Auftraggeber und Auftragnehmer aus aktuellem Anlass gestellt sehen. Die Rechtsanwälte Christopher Nierhaus und Tom Forster geben Lösungshinweise und erläutern den rechtlichen Hintergrund.
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Selbst im Falle einer coronabedingten Betriebsstillegung wird ein Auftragnehmer nicht automatisch von seiner Leistungspflicht frei. Dies wäre nur der Fall, wenn dem Auftragnehmer die Leistungserbringung „unmöglich“ i.S.v. § 275 BGB wäre. Danach verliert der Vertragspartner den Anspruch auf Leistung, wenn es dem Auftragnehmer dauerhaft nicht möglich ist, seine vertraglichen Pflichten zu erbringen. Nur vorübergehende Leistungshindernisse stellen keine Unmöglichkeit dar. Bereits jetzt ist absehbar, dass behördliche Einschränkungen und deren Auswirkungen zeitlich begrenzt sind. Erkrankte Mitarbeiter oder deren Familienangehörige gesunden wieder und der Mitarbeiter kann danach wieder in den Betrieb zurückkehren. Deshalb sind coronabedingte Hindernisse im Regelfall nicht als Unmöglichkeit anzusehen, mit der Folge, dass der Auftragnehmer grundsätzlich verpflichtet bleibt, (irgendwann) seine Leistungen zu erbringen. Nur in Fällen, in denen die Leistung zwingend zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden muss und danach nicht mehr nachgeholt werden kann (z.B. Bauteilöffnung für angesetzten Sachverständigentermin, Vorleistung oder Begleitmaßnahmen für anderes Gewerk) kann ein Fall der Unmöglichkeit vorliegen. Nur dann muss der Auftragnehmer seine Leistung gar nicht mehr erbringen, verliert aber auch seinen Vergütungsanspruch vollständig (§ 326 Abs. 1 BGB)
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Ob sich der Auftragnehmer bei coronabedingten Erschwernissen auf Behinderung berufen kann, mit der Folge, dass er nicht mehr an vereinbarte Zwischen- oder Fertigstellungstermine gebunden wäre, klärt sich zunächst durch einen Blick in den geschlossenen Vertrag. Vielfach enthalten Bauverträge spezielle Regelungen zu Behinderungen und den Voraussetzungen, um diese geltend zu machen, vor allem, wenn bestimmte Termine und Vertragsfristen vereinbart werden.
a) VOB/B-Vertrag
Etwas anderes gilt, wenn die Regelungen der VOB/B in der Vertrag einbezogen wurden. Denn die VOB/B enthält in ihrem § 6 Sonderregelungen für Behinderungen und Unterbrechungen der Ausführung. Von Bedeutung ist für coronabedingte Verzögerung ist die Regelung in § 6 Abs. 2, Lit. c) VOB/B. Hiernach werden Ausführungsfristen verlängert, soweit die Behinderung durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht ist. Dass es sich bei der Covid-19-Pandemie um höhere Gewalt in diesem Sinne handelt, ist zwar obergerichtlich noch nicht festgestellt worden (Stand 05/2020). Mit gutem Grund nimmt dies allerdings die Mehrheit der Stimmen in der juristischen Literatur an. Sie liegt damit auch auf der Linie des Bundesinnenministeriums, welches per Erlass vom 23.03.2020 feststellte, dass die Corona-Pandemie „grundsätzlich geeignet ist, den Tatbestand der höheren Gewalt im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c VOB/B auszulösen“. Jedenfalls seitdem die WHO den Covid-19 Ausbruch am 11.03.2020 zur Pandemie erklärt hat, liegt es sehr nahe, vom Vorliegen der höheren Gewalt auszugehen.
In dieser Annahme liegt nun nicht nur Segen für den Auftragnehmer. Vielmehr lauert gleich doppelt Gefahr. Obgleich dieser Tage mitunter der Eindruck entstehen kann, dass Corona als Pauschalausrede für alles taugt, ist der Auftragnehmer schlecht beraten, auf diesen Zug aufzuspringen. Denn ein Einfaches „wegen Corona“ genügt nicht, um in den Genuss verlängerter Ausführungsfristen zu kommen. Wie auch sonst, sind dem Auftraggeber die Behinderungen schriftlich und unverzüglich anzuzeigen (§ 6 Abs. 1 VOB/B). Inhaltlich muss die Anzeige konkretisierend die Tatsachen bezeichnen, aus denen der Auftragnehmer ableitet, behindert zu sein. Die hindernden Umstände sind mit hinreichender Klarheit zu bezeichnen. Diesen Voraussetzungen ist auch nicht mit § 6 Abs. 1 S.2 VOB/B entgegenzuhalten, dass die hindernden Umstände „offenkundig“ sind. Denn eine Offenkundigkeit in diesem Sinne ist meist nicht gegeben.
Auch nachdem die Behinderung angezeigt und gute Gründe dargelegt sind, kann sich der Auftragnehmer möglicherweise nicht dauerhaft zurücklehnen. Auch wenn die Ausführungsfristen dann zunächst als verlängert gelten, trifft den Auftragnehmer die Weiterführungspflicht aus § 6 Abs. 3 VOB/B. Hiernach muss er alles unternehmen, was ihm billigerweise zugemutet werden kann , um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Dazu muss er auch vom Auftraggeber nicht nochmals zur Weiterführung aufgefordert werden. Was hierbei billigerweise unternommen werden muss, um die Arbeiten weiterführen zu können, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls. Allgemeingültig ist hingegen der Grundsatz, dass der Auftragnehmer keine besondere Pflicht zur Beschleunigung hat, nur weil er zeitweise an der Ausführung gehindert war. Beschleunigungsmaßnahmen, z.B. um wieder in den Zeitplan zu kommen, kann der Auftraggeber auch nicht einseitig anordnen. Hierzu muss eine Einigung zwischen den Vertragsparteien gefunden werden, die im Zweifel zu einer erhöhten Beschleunigungsvergütung führten dürfte.
b) BGB-Werkvertrag
Das Werkvertragsrecht des BGB enthält keine speziellen Regelungen zur Auswirkung von Behinderungen auf Termine. Nach dem Gesetz ist die Leistung im Zweifelsfall sofort zu erbringen, § 271 Abs. 1 BGB. Nur für den Fall eines Verschuldens des Auftragnehmers oder ggfs. auch des Auftraggeber regelt das Gesetz weitergehende Ansprüche. Ein Verschulden wird aber bei pandemiebedingten Behinderungen im Regelfall keiner Vertragspartei vorzuwerfen sein. Fehlt es an vertraglichen Regelungen und ist die VOB/B nicht als Vertragsbestandteil vereinbart, wird deshalb wegen der außergewöhnlichen und extremen Auswirkungen der Pandemie über eine ergänzende Anwendung der zu § 6 VOB/B geltenden Grundsätze nachgedacht. In Betracht kommt unter Umständen auch eine Verlängerung von Ausführungsfristen über eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB. In jedem Falle ist wegen der ungeklärten Rechtslage dem Auftragnehmer zu empfehlen, den Auftraggeber über die Behinderung so früh wie möglich zu informieren und dabei den Grund und die voraussichtliche Dauer der Behinderung darzulegen. Die Behinderungsanzeige sollte schriftlich erfolgen oder zumindest hinreichend dokumentiert werden. Da bei einem reinen BGB-Werkvertrag klare Regelungen fehlen, haben beide Vertragsparteien ein Interesse daran, gemeinsam eine Anpassung des Bauablaufes zu vereinbaren und entsprechend zu dokumentieren. Dazu gehört dann auch die Frage, inwieweit die Vergütung des Auftragnehmers im Hinblick auf Mehrkosten infolge der Behinderung angepasst wird.
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3. Muss der Auftragnehmer Vertragsstrafe zahlen, wenn er coronabedingt den Terminplan nicht einhält?
Eine Vertragsstrafe wegen Fristenüberschreitung setzt in jedem Fall voraus, dass der Vertrag ausdrücklich eine entsprechende Vertragsstrafevereinbarung enthält. Diese muss außerdem vorsehen, dass die Vertragsstrafe nur im Falle des Verschuldens des Auftragnehmers anfällt („verwirkt wird“). Da der Eintritt der Pandemie und die daraus entstandenen Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben jedenfalls bei Verträgen, die vor dem 11. März 2020 (Ausrufung der Pandemie durch die WHO) geschlossen wurden, nicht vorhersehbar waren, trifft den Auftragnehmer im Regelfall kein Verschulden daran, dass ihn diese Auswirkungen in der Leistungserbringung behindern. Anders kann der Fall allerdings liegen, wenn der Auftragnehmer die Behinderung durch vorwerfbares Fehlverhalten selbst verursacht hat, etwa wenn er erst durch unzureichende Vorsorge- oder Organisationsmaßnahmen eine behördliche Betriebs- oder Baustellenstilllegung verursacht hat. Der Auftraggeber müsste aber darlegen und ggfs. beweisen, dass der Auftragnehmer allein das Leistungshindernis verschuldet und damit die Terminsüberschreitung zu vertreten hat. Eine Vertragsstrafe wird der Auftraggeber daher nur in Ausnahmefällen verlangen können.
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Was muss der Auftragnehmer tun, der aktuell konkret von den Auswirkungen der Pandemie betroffen ist und seine Aufträge nicht abarbeiten kann, weil ggf. Personal oder Material fehlt?
Der Auftragnehmer ist gem. § 643 BGB zur Kündigung berechtigt, wenn der Auftraggeber durch Unterlassen einer Mitwirkungshandlung in Annahmeverzug gerät und der Auftragnehmer ihm zur Nachholung der Handlung unter Androhung der Kündigung eine angemessene Frist setzt. Nach Ablauf dieser Frist gilt der Vertrag als aufgehoben. § 643 BGB kommt insbesondere zum Tragen, wenn Vorgewerke, auf deren Arbeit der Auftragnehmer aufbauen muss, coronabedingt nicht ausgeführt werden können. Da die Bereithaltung von Vorgewerken eine Mitwirkungspflicht des Auftraggebers darstellt, gerät der Auftraggeber in Annahmeverzug, wenn der Auftragnehmer seine Leistungen vertragsgerecht anbietet. Ein Verschulden des Auftraggebers ist dazu nicht erforderlich.
Unabhängig von einer etwaigen Mitwirkungspflicht des Auftraggebers könnte sich für den Auftragnehmer ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages nach § 648 a BGB ergeben. Dazu müsste dem Auftragnehmer unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls und nach Abwägung der beiderseitigen Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar sein. Ob dem Auftragnehmer unter diesen Voraussetzungen ein Kündigungsrecht zusteht, kann nur individuell von Fall zu Fall beurteilt und entschieden werden. Dabei wird aber zu berücksichtigen sein, dass der Auftraggeber im Allgemeinen nicht verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass staatliche Anordnungen und Beschränkungen unterbleiben. Der Auftraggeber ist auch nicht für ungewöhnliche oder extreme Witterungseinflüsse oder sonstige Naturereignisse verantwortlich. Deshalb dürften die auf Coronaauswirkungen gestützten Interessen des Auftragnehmers an einer sofortigen Beendigung des Vertrages im Regelfall die Interessen des Auftraggebers an der Fortführung der Baustelle nicht überwiegen. Nur wenn der Auftragnehmer coronabedingt außergewöhnlich stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen ist und sein Ausfall die Baustelle nicht übermäßig behindern würde, könnte ausnahmsweise eine Kündigungsmöglichkeit nach § 648 a BGB in Betracht kommen.
Ein Kündigungsrecht wegen unterlassener Mitwirkung des Auftraggebers kennt auch die VOB/B. Es ist in § 9 Abs. 1 Nr.1 VOB/B speziell geregelt. Die Voraussetzungen sind ähnlich wie im BGB-Vertrag. Es gelten allerdings wichtige Abweichungen. Ist sie nicht ausnahmsweise entbehrlich, hat der Kündigung eine Fristsetzung mit Kündigungsandrohung vorauszugehen (Abs. 2). Die Kündigung ist grundsätzlich schriftlich zu erklären und nur dann möglich, wenn die gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist. Hieraus wird deutlich, dass der Auftraggeber die Chance haben soll, die Mitwirkung (= Bereitstellung der Baustelle samt erforderlicher Vorgewerke) noch nachzuholen. Soweit der Auftraggeber also alles tut, was ihm billigerweise zuzumuten ist, um die Fortsetzung der Arbeiten zu ermöglichen, sollte nicht Vorschnell von der Zulässigkeit einer Kündigung ausgegangen werden. Auch stellt sich im Corona-Fall die besondere Frage, was eigentlich die “angemessene” Frist ist. Soweit Vorgewerke ausfallen, dürfte dem Auftraggeber jedenfalls während einer globalen Pandemie ein Mehr an Zeit zuzugestehen sein um die ihm obliegende Mitwirkungshandlung vorzunehmen bzw. nachzuholen. Wenn im Einzelfall eine Kündigung erfolgt und zulässig ist, sind die bisherigen Leistungen dann nach den Vertragspreisen abzurechnen. Außerdem hat der Auftragnehmer Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach § 642 BGB.
Eine weitere Kündigungsregelung stellt die VOB/B in § 6 Abs. 7 VOB/B bereit. Danach kann jeder Vertragsteil den Vertrag nach einer Unterbrechung der Ausführung von mehr als drei Monaten kündigen. Hierbei handelt es sich um ein so scharfes Schwert, dass den Parteien des VOB/B-Vertrages auf der Grundlage dieser Regelung sogar regelmäßig das Recht auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB mit dem Argument versagt wird, dass jeder Partei das Recht hätte, sich vom Vertrag zu lösen und abzurechnen (Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, VOB/B § 6 Rn. 1 – 5 Rn. 1, beck-online).
Das beiden Vertragsparteien nach § 6 Abs. 7 VOB/B gleichermaßen zustehende Kündigungsrecht setzt eine Ausführungsunterbrechung von mehr als drei Monaten voraus. Eine bloße Behinderung im Sinne eines verlangsamten Herstellungsprozesses genügt nicht. Andererseits liegt eine Unterbrechung auch nicht erst vor, wenn der Auftragnehmer überhaupt keine Tätigkeiten mehr entfalten kann. Entscheidend ist vielmehr, dass nichts mehr geschehen kann, was unter Zugrundelegung der dem Auftragnehmer vertraglich auferlegten Leistungspflichten mit zur unmittelbaren Leistungserstellung und damit zum Leistungsfortschritt als solchem gehört (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2008 – 21 U 22/07).
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Verzögert sich die Ausführung von Arbeiten, kann dies zu einer Behinderung von Arbeiten an sich leistungsfähiger und –bereiter Nachfolgegewerke führen. Es fragt sich dann, ob dem Auftraggeber daraus weitere Nachteile im Rechtsverhältnis zu den Nachfolgegewerken drohen.
a) BGB-Werkvertrag
Die Bereitstellung der Vorunternehmerleistung für das Nachfolgegewerk, das auf diese Arbeiten aufbauen muss, ist eine Mitwirkungspflicht des Auftraggebers im Verhältnis zum Nachfolgegewerk (BGH, Urteil vom 19.12.2002 – VII ZR 440/01). Es ist zwar davon auszugehen, dass den Auftraggeber im Regelfall kein Verschulden an coronabedingten Behinderungen trifft. Dennoch kann er gegenüber dem Nachfolgegewerk in Annahmeverzug gem. § 293 BGB geraten, wenn dieses leistungsfähig ist und seine Leistung vertragsgerecht anbietet. Dazu muss das Nachfolgegewerk seine Leistung entweder wörtlich anbieten (§ 295 BGB) oder ausreichende Kräfte auf der Baustelle bereithalten und zu erkennen geben, dass es bereit und in der Lage ist, die Arbeiten auszuführen (BGH, Urteil vom 19.12.2002 – VII ZR 440/01). Der Auftragnehmer ist allerdings dann nicht leistungsfähig, wenn er, bzw. sein Betrieb selbst Adressat von behördlichen Maßnahmen zum Infektionsschutz ist (Weiser, NZBau 2020, 203, 206). Haben die Parteien die Einbeziehung der VOB/B vereinbart, muss der Auftragnehmer zuvor die Behinderung schriftlich anzeigen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B).
Gerät der Auftraggeber in Annahmeverzug, ist für den Auftragnehmer die Geltendmachung von Mehrkosten während des Gläubigerverzuges (§ 642 BGB), Vergütung für die bisher erbrachten Leistungen und von Auslagen, die ihm in Vorbereitung der geplanten Leitungen bereits entstanden sind (z.B. Materialkosten) nach § 645 BGB erleichtert. Weitergehenden Schadensersatz kann der Auftragnehmer allerdings auch bei Annahmeverzug des Auftraggebers nicht verlangen, da dies ein Verschulden des Auftraggebers voraussetzen würde. Außerdem ist der Auftragnehmer berechtigt, nach angemessener Fristsetzung zur Nachholung der Mitwirkungshandlung, den Vertrag nach § 643 BGB zu beenden.
b) VOB/B-Vertrag
Für Verträge, in die die Regelungen der VOB/B einbezogen wurden gilt § 4 VOB/B. Hiernach hat der Auftraggeber für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auf der Baustelle zu sorgen und das Zusammenwirken der verschiedenen Unternehmer zu regeln. Es ist grundlegende koordinative Verpflichtung und somit Bestandteil des Verantwortungsbereichs des Auftraggeber, dem Auftragnehmer bei Beginn und während der Durchführung des Bauvertrages den Baugrund und die sonstigen den Gegenstand der Bebauung bildenden Anlagen und Objekte bearbeitungsreif, also für die Leistung des Auftragnehmers aufnahmebereit zur Verfügung zu stellen. Andernfalls könnte der Auftragnehmer nicht ohne Behinderung i.S.v. § 6 VOB/B leisten.
Da also der Auftragnehmer seine Leistungen nur durchführen kann, wenn der Baugrund und das sonstige Objekt der Bearbeitung ihm rechtzeitig überlassen wird, gehört es zu den Aufgaben des Auftraggeber, dieses auch mit ordnungsgemäß ausgeführten Vorleistungen zur Verfügung zu stellen. Diese Bereitstellungsverpflichtung beinhaltet gegenüber dem jeweiligen Auftragnehmer die Verpflichtung, ein Grundstück mit rechtzeitig und fehlerfrei fertiggestellten Vorleistungen so zur Verfügung zu stellen, dass der Auftragnehmer als Nachfolgegewerk mit seinen Arbeiten ungehindert beginnen kann. Daraus wird deutlich, dass der Auftraggeber für ausfallende bzw. nicht arbeitende Gewerke grundsätzlich verantwortlich ist. Soweit also der Auftraggeber die Baustelle samt Vorgewerken nicht (rechtzeitig) zur Verfügung stellt, braucht sich der Auftragnehmer nicht auf höhere Gewalt zu berufen. Vielmehr wird die Behinderung dann gem. § 6 Abs. 2 Lit. a) VOB/B durch einen Umstand verursacht, der im Risikobereich des Auftraggebers liegt.
Dies bedeutet nun aber nicht, dass der Auftragnehmer auch automatisch den Ersatz des ihm entstehenden Schadens während des Ausfalls der Vorgewerke verlangen kann. § 6 Abs. 6 S.1 VOB/B sieht vor, dass der Ersatz der nachweislich entstandenen Schadens nur dann verlangt werden kann, wenn die hindernden Umstände von einem Vertragsteil zu vertreten sind. Umstritten ist hierbei, ob sich der Auftraggeber in diesem Kontext das Verschulden eines Vorunternehmers zurechnen lassen muss, weil dieser als sein Erfüllungsgehilfe anzusehen ist. Der BGH hat dies in seinen sog. Vorunternehmerentscheidungen aus 1985 und 1999 noch abgelehnt, wird hierfür aber schwer kritisiert.
Für den hier untersuchten Ausfall der Vorgewerke wird der Streit indes selten eine Rolle spielen, da die Zurechnung zunächst voraussetzen würde, dass dem Vorunternehmer selbst wenigstens eine fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dies dürfte auch dem Vorunternehmer im Falle einer globalen Pandemie nicht ohne weiteres vorzuwerfen sein. Demgemäß müssten besondere Umstände, wie beispielsweise die Nichteinhaltung behördlicher Auflagen oder besonders riskante Verhaltensweisen, hinzutreten um dem Vorunternehmer ein eigenes Verschulden anzudichten. Selbst dann könnte der Auftragnehmer nur den nachweislich (bereits) entstandenen Schaden ersetzt verlangen. Hierzu zählt insbesondere nicht ein etwaig entgangener Gewinn, da dieser gem. § 6 Abs. 6 S.2 VOB/B nur im Falle von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit verlangt werden kann.
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Die behördlichen Beschränkungen zum Infektionsschutz können zu unvorhergesehenen Mehrkosten vor allem für den Auftragnehmer führen, beispielsweise für zusätzliche Überwachung- und Sicherungsmaßnahmen auf der Baustelle, durch verteuerte Materialbeschaffung oder das Erfordernis, den krankheits- oder quarantänebedingten Ausfall von Mitarbeitern durch die Einstellung zusätzlicher Arbeitnehmer auszugleichen. Häufig finden sich in den Werkverträgen Klauseln für die Umgangsweise mit solchen Mehrkosten, die vorrangig zu beachten sind. Allerdings sind diese Klauseln darauf zu überprüfen, ob sie auch eine so unwahrscheinliche und weitreichende Ursache für die Kostensteigerung abdecken, wie die Covid-19 Pandemie.
a) VOB/B-Vertrag
Für diejenigen Verträge, in die die VOB/B wirksam einbezogen ist, fällt der erste Blick wiederum auf § 6 VOB/B. Dieser enthält Regelungen für Behinderungen und die Unterbrechung der Ausführung. Im Regelfall wird sich der Auftragnehmer wegen nachgewiesenen coronabedingten Ausfällen auf höhere Gewalt i.S.v. § 6 Abs. 2 Lit c) VOB/B berufen können (siehe hierzu ergänzend Frage 2 „Kann sich der Auftragnehmer auf coronabedingte Behinderung berufen?“). Wichtig ist hierbei u.a., dass die Behinderung unverzüglich schriftlich angezeigt wird.
Die durch die Pandemielage entstandenen Mehrkosten stellen als unfreiwillige Einbuße einen Schaden dar. Schadensersatz schuldet der Auftraggeber allerdings nach den Regeln der VOB/B nur dann, wenn er er die hindernden Umstände auch zu vertreten hat, § 6 Abs. 6 S.1 VOB/B. Hiervon ist nicht vorschnell auszugehen. Erst wenn dies anzunehmen ist, z.B. weil dem Auftraggeber ein Verhalten vorzuwerfen ist, dass abseits behördlicher Auflagen – z.B. wegen der Vernachlässigung von Schutzmaßnahmen, die dann zum vollständigen Erliegen der Baustelle führen – zur Unterbrechung der Arbeiten führt, ist weiter danach zu fragen, ob er nicht sogar grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Nur in diesem Fall kann der Auftragnehmer auch den entgangenen Gewinn ersetzt verlangen, § 6 Abs. 6, S.1 a.E. VOB/B. Für Fälle unterhalb dieser Schwelle verweist die VOB/B auf die Vorschrift § 642 BGB, setzt allerdings anders als dort die schriftliche Behinderungsanzeige weiter voraus.
Das gesetzliche Werkvertragsrecht räumt dem Auftragnehmer mit § 642 BGB die Möglichkeit ein, unter bestimmten Voraussetzungen die Mehrkosten während des Annahmeverzuges des Auftraggebers erstattet zu verlangen. In Annahmeverzug gerät der Auftraggeber vor allem, wenn er erforderliche Mitwirkungshandlungen nicht erbringt. Eine allgemeine Mitwirkungspflicht des Auftraggebers dergestalt, dass er dafür sorgen muss, dass die Baustelle frei von umwelt- oder naturbedingten Beeinträchtigungen bleibt, ist nicht anzunehmen. Selbst für extreme Wetterauswirkungen wäre der Auftraggeber ohne besondere Vereinbarungen im Vertrag nicht verantwortlich (BGH, Urteil vom 20.4.2017 –– VII ZR 194/13, NJW 2017, 2025). Dasselbe muss für Auswirkungen der Pandemie auf die Baustelle gelten.
Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten des Auftraggebers könnte sich jedoch ergeben, wenn Vorgewerke coronabedingt ihre Arbeiten nicht rechtzeitig ausführen, auf die der Arbeitnehmer aufbauen muss. Der Erstattungsanspruch nach § 642 BGB deckt allerdings nicht die Mehrkosten ab, die dem Auftragnehmer nach Beendigung des Annahmeverzuges entstehen, wie etwa höhere Anlaufkosten zur Wiederaufnahme seiner Arbeiten nach der Unterbrechung (BGH, Versäumnisurteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17, NJW 2018, 544).
b) BGB-Werkvertrag
Bei Verträgen, die keine spezielle vertragliche Regelungen enthalten und in denen die Geltung der VOB/B nicht vereinbart wurde, müsste der Auftragnehmer die ganz überwiegenden coronabedingten Mehrkosten alleine tragen. Deshalb wird mit Blick auf die aktuellen unvorhersehbaren und tiefgreifenden Auswirkungen auf den Bauablauf darüber nachgedacht, in den Auswirkungen der Coronakrise einen Anlass für eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu sehen (Sterner, Das Grundeigentum 2020, 446, 448; Weiser, NZBau 203, 207). In reinen BGB-Werkverträgen könnten auf diesem Weg auch die Rechtsgedanken aus §§ 6 Abs. 5 VOB/B, i.V.m. § 642 BGB angewandt werden, ohne dass ein Annahmeverzug des Auftraggebers vorliegen müsste. Einschränkend ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nur in solchen Fällen gesprochen werden kann, die zu einem unzumutbaren Leistungserschwernis führen (BeckOK BGB/Lorenz BGB § 313 Rn. 31 n.w.N.), also wenn erhebliche Mehrleistungen zur Erreichung des Bauerfolges notwendig werden. Mit überschaubarem Mehraufwand zu bewerkstelligende zusätzliche Maßnahmen (zusätzliche Bautoiletten, Absperrbänder, Ausrüstung mit einfachem Mund- und Nasenschutz o.ä.) muss der Auftragnehmer -ohne abweichende vertragliche Regelungen- auf eigene Kosten ausführen.
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Die Auswirkungen der Coronakrise können den Auftraggeber selbst treffen (Finanzierungschwierigkeiten; der Bauträger findet keine Abnehmer für seine Wohnungen) oder den von ihm beauftragten Auftragnehmer beeinträchtigen, so dass der Auftraggeber die Leistungen lieber durch ein anderes, leistungsfähiges und leistungsbereites Unternehmen ausführen lassen möchte. In beiden Fällen benötigt er ein Recht zur Vertragskündigung, damit die bei einer jederzeit möglichen „freien“ Kündigung geschuldete Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen abzüglich ersparter Aufwendungen gemäß § 648 Satz 2 BGB nicht gezahlt werden muss.
Auf Leistungsverzug des Auftragnehmers kann im Regelfall eine Kündigung (z.B. gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B) nicht gestützt werden, da der Verzug ein Verschulden des Auftragnehmers voraussetzt (§ 286 BGB). Daran wird es in den meisten Fällen fehlen, in denen das Leistungshindernis des Auftragnehmers letztendlich auf behördliche Maßnahmen und Einschränkungen zum Infektionsschutz zurückzuführen sind (s.o. zu Nr. 3).
Soweit nicht der Vertrag konkrete Regelungen zu einer Kündigungsmöglichkeit bei Behinderung oder Unterbrechung der Bauausführung enthält, kann sich der Auftraggeber bei Vereinbarung der VOB/B als Vertragsbestandteil auf eine Kündigungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 7 S. 1 VOB/B stützen. Danach kann jede Vertragspartei den Bauvertrag kündigen, wenn die Vertragsdurchführung länger als drei Monate unterbrochen ist. Ein Verschulden einer der beiden Vertragsparteien ist dafür nicht erforderlich. Allein die zeitliche Dauer der Unterbrechung reicht aus, um den Vertrag zu kündigen. Hierbei handelt es sich um ein so scharfes Schwert, dass den Parteien des VOB/B-Vertrages auf der Grundlage dieser Regelung sogar regelmäßig das Recht auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB mit dem Argument versagt wird, dass jeder Partei das Recht hätte, sich vom Vertrag zu lösen und abzurechnen (Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, VOB/B § 6 Rn. 1 – 5 Rn. 1, beck-online). Eine bloße Verlangsamung des Herstellungsprozesses reicht für eine Ausführungsunterbrechung als Kündigungsvoraussetzung nicht aus. Andererseits liegt eine Unterbrechung auch nicht erst vor, wenn der Auftragnehmer überhaupt keine Tätigkeiten mehr entfalten kann. Entscheidend ist vielmehr, dass nichts mehr geschehen kann, was unter Zugrundelegung der dem Auftragnehmer vertraglich auferlegten Leistungspflichten mit zur unmittelbaren Leistungserstellung und damit zum Leistungsfortschritt als solchem gehört (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2008 – 21 U 22/07).
Vor Ablauf der drei Monate oder der wenn im Vertrag die Geltung der VOB/B nicht vereinbart ist, könnte sich ein Kündigungsrecht aus § 648 a BGB ergeben. Danach können beide Vertragsparteien den Vertrag fristlos kündigen, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werkes nicht zugemutet werden kann. Die Frage, ob die Interessen des Auftraggebers an einer Vertragsbeendigung die Interessen des Auftragnehmers überwiegen, lässt sich nicht schematisch lösen. Es ist immer nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. Dabei wird aber grundsätzlich zu berücksichtigen sein, dass im Regelfall keine der Vertragsparteien ein Verschulden an dem Eintritt und den allgemeinen Folgen der Corona-Pandemie trifft. Ein Kündigungsrecht dürfte daher nur dann bestehen, wenn auf Seiten des Auftraggebers ganz erhebliche und einschneidende Nachteile eintreten und auf der anderen Seite eine Vertragsbeendigung den Auftragnehmer demgegenüber deutlich weniger treffen würde, beispielsweise wenn es ihm möglich ist, die Vertragsbeendigung durch die Annahme anderer Aufträge kompensieren zu können.
Lässt sich nach den vorgenannten Grundsätzen ein Kündigungsrecht des Auftraggebers nicht begründen, müsste er sich auf einen Rücktritt vom Vertrag gemäß § 323 Abs. 1 BGB stützen können. Danach kann der Auftraggeber vom Vertrag zurücktreten, wenn der Auftragnehmer eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbringt und der Auftraggeber ihm eine angemessene Frist zur Leistung gesetzt hat, § 323 Abs. 1 BGB. Anders als eine Kündigung wegen Verzuges setzt der Rücktritt vom Vertrag kein Verschulden des Auftragnehmers voraus. Der Rücktritt kann allerdings erst erklärt werden, wenn der Auftragnehmer seine Leistung zu diesem Zeitpunkt bereits hätte erbringen müssen (zum Beispiel bei Verstreichen einer vereinbarten Vertragsfrist) und eine danach vom Auftraggeber gesetzte Nachfrist ebenfalls abgelaufen ist. Selbst wenn die Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Vertrag vorliegen, kann ein solcher Rücktritt für den Auftraggeber aber mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, weil in Folge des Rücktritts wechselseitig erbrachte Leistungen zurück zu gewähren sind. Für schon erbrachte Leistungen verliert der Auftraggeber infolge des Rücktritts seine vertraglichen Mängelansprüche. Wurden schon Leistungen auf dem Grundstück des Auftraggebers ausgeführt, dürfte auch die Rückgabe der Bauleistung ausgeschlossen sein. Dann muss der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Werklohn für die bereits erbrachte Leistung erstatten (§ 346 Abs. 2 BGB).
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Bei Verträgen, die keine spezielle vertragliche Regelungen enthalten und in denen die Geltung der VOB/B nicht vereinbart wurde, müsste der Auftragnehmer die ganz überwiegenden coronabedingten Mehrkosten alleine tragen. Das gesetzliche Werkvertragsrecht enthält auch keine Regelungen zu Behinderungen. Deshalb wird mit Blick auf die aktuellen unvorhersehbaren und tiefgreifenden Auswirkungen auf den Bauablauf darüber nachgedacht, in den Auswirkungen der Coronakrise einen Anlass für eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) sehen (Sterner, Das Grundeigentum 2020, 446, 448; Weiser, NZBau 203, 207). In reinen BGB-Werkverträgen könnten auf diesem Weg auch die Rechtsgedanken aus §§ 6 und 9 VOB/B, i.V.m. §§ 642, 645 BGB angewandt werden, ohne dass ein Annahmeverzug des Auftraggebers vorliegen müsste. Einschränkend ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nur in schwerwiegenden Fällen gesprochen werden kann, in denen insbesondere unter Berücksichtigung der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung einer Vertragspartei das Festhalten an den bisherigen Vertragsbedingungen nicht zugemutet werden kann (BeckOK BGB/Lorenz BGB § 313 Rn. 31 m.w.N.). Eine Vertragsanpassung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt deshalb nur bei gravierenden und schwerwiegenden Auswirkungen für eine Vertragspartei in Betracht. So berechtigen z.B. geringfügige Störungen des Bauablaufes, die sich möglicherweise mit vertretbarem Arbeitseinsatz aufholen lassen oder mit überschaubarem Mehraufwand zu bewerkstelligende zusätzliche Maßnahmen (zusätzliche Bautoiletten, Absperrbänder, Ausrüstung mit einfachem Mund- und Nasenschutz o.ä.) nicht dazu, eine Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB zu verlangen.
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Nachdem die Pandemie nun schon einige Wochen alt ist und ein konkretes Ende der z.T. anhaltenden Störungen nicht absehbar ist, muss auch ein Blick in die Zukunft gewagt werden. Hierbei fällt auf, dass jedenfalls für Verträge, in die die VOB/B einbezogen ist, Sonderregelungen gelten.
§ 6 Abs. 5 VOB/B gewährt beispielsweise ein Recht zur vorzeitigen Leistungsabrechnung für den Fall länger andauernder Unterbrechungen. Dies kann ein wichtiges Instrument zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen sein. Hierbei können u.U. sogar schon die gesamten Kosten der Baustelleneinrichtung geltend gemacht werden, wenn diese auf die Teilkosten der einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses umgelegt worden sind. Auch die bis zur Unterbrechung angelaufenen Kosten der Baustellenvorhaltung können in Ansatz gebracht werden.
Das Gebot zur prüfbaren Abrechnung gemäß § 14 Abs. 1 VOB/B gilt auch hier. Deshalb ist die bis zur Unterbrechung erbrachte Leistung bei einem Einheitspreisvertrag prüfbar aufzumessen und hierüber gemäß den Anforderungen nach § 14 Abs. 1 VOB/B Nachweis zu führen. Voraussetzung einer solchen vorzeitigen Abrechnung ist, dass Ausführung voraussichtlich auf längere Dauer unterbrochen sein muss. Das Kündigungsrecht aus § 6 Abs. 7 VOB/B lässt erkennen, dass eine Unterbrechung von mehr als drei Monaten regelmäßig genügt. Das Recht zur Abrechnung entsteht jedoch nicht erst dann, wenn diese Zeit abgelaufen ist. Vielmehr genügt es, wenn ein belegbarer Schluss gerechtfertigt ist, dass der Baustillstand für eine längere Zeit andauern wird. Wenn also im Einzelfall klar ist, dass die Arbeiten für lange Zeit nicht wieder aufgenommen werden können, kann schon wenige Tage nach dem Eintritt des Leistungshindernisses das Recht zur vorzeitigen Leistungsabrechnung bestehen.
Eine weitere Spezialregelung enthält § 6 Abs. 7 VOB/B. Hiernach kann jeder Vertragsteil den Vertrag nach einer Unterbrechung der Ausführung von mehr als drei Monaten kündigen. Hierbei handelt es sich um ein so scharfes Schwert, dass den Parteien des VOB/B-Vertrages auf der Grundlage dieser Regelung sogar regelmäßig das Recht auf Vertragsanpassung nach § 313 BGB mit dem Argument versagt wird, dass jeder Partei das Recht hätte, sich vom Vertrag zu lösen und abzurechnen (Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, VOB/B § 6 Rn. 1 – 5 Rn. 1, beck-online). Das beiden Vertragsparteien nach § 6 Abs. 7 VOB/B gleichermaßen zustehende Kündigungsrecht setzt eine Ausführungsunterbrechung von mehr als drei Monaten voraus. Eine bloße Behinderung im Sinne eines verlangsamten Herstellungsprozesses genügt nicht. Andererseits liegt eine Unterbrechung auch nicht erst vor, wenn der Auftragnehmer überhaupt keine Tätigkeiten mehr entfalten kann. Entscheidend ist vielmehr, dass nichts mehr geschehen kann, was unter Zugrundelegung der dem Auftragnehmer vertraglich auferlegten Leistungspflichten mit zur unmittelbaren Leistungserstellung und damit zum Leistungsfortschritt als solchem gehört (OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2008 – 21 U 22/07)
Am 11.03.2020 hat die WHO die Pandemie ausgerufen. Können sämtliche Baubeteilige ihre VOB/B-Verträge nun am 11.06.2020 kündigen? Die Antwort ist ein klares „Jein“. Besonders interessant ist, dass der BGH eine Kündigung sogar schon vor Ablauf der drei Monate zulässt, wenn mit Sicherheit feststeht, dass die Unterbrechung länger als drei Monate dauern wird (BGH, Urteil v. 13.05.2004 VII ZR 363/02). Problematisch ist dies unter mehreren Gesichtspunkten. Zum einen ist die Entscheidung in der Rechtswissenschaft auf heftige Kritik gestoßen und systematisch so schwer umstritten, dass nicht mit Gewissheit feststeht, dass der BGH erneut so entscheiden würde. Zum anderen läge ein Fehler darin, den Beginn der abstrakten Pandemielage mit der konkreten Unterbrechung der Ausführung gleichzusetzen. Es dürfte vielmehr darauf ankommen, wann sich die aktuelle Covid-19-Pandemie so auf das Projekt ausgewirkt hat, dass die weitere Bauausführung unterbrochen werden musste. Selbst wenn dies nicht am 11.03.2020, sondern erst später der Fall war, droht allerdings derzeit mit fortschreitendem Zeitablauf, dass die drei Monate Unterbrechung demnächst überschritten sein können. Eine sorgfältige Prüfung der Vertragssituation, eine Gefahrenanalyse und die Anwendungsprüfung der vorstehenden Grundsätze auf den Einzelfall ist daher aktuell allen Baubeteiligten zu empfehlen.