WEG: Das Mehrheitsumlaufverfahren – was ist zu beachten und wann macht es Sinn?
23 Abs. 3 S. 2 WEG sieht seit dem WEMoG eine Erleichterung bei der Fassung eines Umlaufbeschlusses vor. Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand auch im Umlaufverfahren die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt. In diesem Fall bedarf es abweichend von § 23 Abs. 3 S. 1 also nicht der Zustimmung aller Wohnungseigentümer (Allstimmigkeit), die in der Praxis kaum erreichbar ist. Im Anwendungsbereich dieser Norm werden zwei Beschlüsse gefasst: Zunächst muss bzgl. eines bestimmten Beschlussgegenstandes das Verfahren der mehrheitlichen Beschlussfassung im Umlaufverfahren nach Abs. 3 S. 2 beschlossen werden (sog. Absenkungsbeschluss). Zeitlich nachfolgend kann dann der Sachbeschluss im Umlaufverfahren mehrheitlich gefasst werden.
Die Rechtsnatur des Absenkungsbeschlusses ist streitig. Vertreten wird, dass es sich um einen sog. Geschäftsordnungsbeschluss handelt, der sich regelmäßig mit der anschließenden Beschlussfassung im Umlaufverfahren erledigt. Richtig ist wohl, dass es sich bei dem Absenkungsbeschluss um einen regulären Beschluss handelt, für den die allgemeinen Voraussetzungen gelten und der in Bestandskraft erwachsen kann. Weder erledigt sich der Beschluss mit Versammlungsende noch geht es um Verfahrensfragen „rund um die Wohnungseigentümerversammlung“. Vielmehr wird eine Legitimationsgrundlage für eine Entscheidung in einem Mehrheitsumlaufverfahren geschaffen.
Soweit es sich bei einem Absenkungsbeschluss um einen regulären Beschluss handelt, gilt § 23 Abs. 2 WEG. Danach ist zur Gültigkeit eines Beschlusses erforderlich, dass der Gegenstand bei der Einberufung bezeichnet ist. Die Ankündigung von Beschlussgegenständen dient der Vorbereitung der Wohnungseigentümer. Allerdings ist der Absenkungsbeschluss als „Minus“ zum Sachbeschluss in diesem enthalten. Die Ankündigung eines Sachbeschlusses ermöglicht auch (nur) einen Beschluss über die „Vertagung der konkreten Angelegenheit“ in ein anschließendes Umlaufverfahren.
Auf den Absenkungsbeschluss als regulären Beschluss findet auch § 44 WEG zur Beschlussklage unmittelbare Anwendung. Soweit ein Wohnungseigentümer der Ansicht ist, dass bereits die Absenkung nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, sollten sowohl der Absenkungsbeschluss als auch der spätere Mehrheitsbeschluss angefochten werden. Anderenfalls erwächst der Absenkungsbeschluss in Bestandskraft. Es mag prozessökonomisch sein, überzeugt aber nicht, die Ordnungsmäßigkeit des Absenkungsbeschlusses erst im Anfechtungsverfahren gegen den eigentlichen Sachbeschluss inzident zu prüfen, zumal das Vorbringen dann verspätet sein dürfte.
Praxisrelevant dürfte die Vertagung der Beschlussfassung sein, wenn Unterlagen oder abschließende Informationen zur Entscheidungsfindung fehlen. Zudem dürfte der Absenkungsbeschluss als Mittel zur gestuften Beschlussfassung bei umfangreichen Baumaßnahmen von Bedeutung sein bzw. werden. Dort kann die Willensbildung oftmals nicht durch einen einzigen Beschluss erfolgen. Fehlen weitere Kostenvoranschläge, Kreditangebote oder sind noch gutachterliche Stellungnahmen (zB. vom Energieberater, Fördermittelberater) einzuholen, kann die eigentliche Beschlussfassung vertagt werden ohne weitere Versammlung. Ein solches Vorgehen kann Zeit und Geld sparen. Insoweit dürfte im Hinblick auf eine Vielzahl anstehender (energetischer) Sanierungsmaßnahmen eine abgestufte Vorgehensweise mit Grundbeschluss und Verlagerung des Ausführungsbeschlusses in das Mehrheitsumlaufverfahren („step-by-step“) sehr zielführend sein.
Die praktische Relevanz des Mehrheitsumlaufverfahrens dürfte abnehmen mit Zulassung der virtuellen Eigentümerversammlung durch den Gesetzgeber, da die finale Entscheidung dann in einer weiteren Eigentümerversammlung ohne viel Aufwand und Kosten erfolgen kann. Vor dem Hintergrund, dass die Beschlussfassung in einer Eigentümerversammlung grundsätzlich demokratischer ist als die in einem Mehrheitsumlaufverfahren, hoffen WIR auch insoweit auf ein Handeln des Gesetzgebers.
Rechtsanwalt Carsten Küttner