Vergemeinschaftungsbeschlüsse weiterhin möglich
Auch nach dem WEMoG kann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Mängelansprüche der Erwerber vergemeinschaften („an sich ziehen“).
Mit Urteil vom 11. November 2022, dessen schriftliche Begründung noch nicht veröffentlicht wurde, hat der 5. Zivilsenat des BGH entschieden, dass Mängelrechte in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum auch nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) durch Mehrheitsbeschluss vergemeinschaftet werden können. Damit wäre eine mit Entfall des alten § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG a.F im Zuge des WEMoG entstandene Rechtsunsicherheit geklärt. Nach altem Recht konnte die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Ausübung der auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums gerichteten Rechte von Erwerbern aus den jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer durch Mehrheitsbeschluss „an sich ziehen“. Dies hatte dann zur Folge, dass die Gemeinschaft als Prozessstandschafterin dieser Ansprüche gegenüber dem Bauträger ausgeübt hat. Der einzelne Wohnungseigentümer war dann weitestgehend von der Ausübung seiner vertraglichen Rechte ausgeschlossen, soweit es um Mängel am Gemeinschaftseigentum ging.
Der alte § 10 Abs. 6 WEG a.F. wurde ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen. Dadurch entstand ein Meinungsstreit, ob die Gemeinschaft überhaupt noch berechtigt ist, solche Ansprüche auszuüben oder ob im Umkehrschluss solche Ansprüche schon per Gesetz der Gemeinschaft zugewiesen seien. Denn nunmehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch die sogenannte „geborene Ausübungsbefugnis“; danach kann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ohne Beschluss die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und sie nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr. Wenn die Erwerberansprüche nicht unter diese Vorschrift fallen würden, hätte der Gemeinschaft möglicherweise keine Beschlusskompetenz mehr zur Ausübung dieser Ansprüche zugestanden.
Wie der Bundesgerichtshof nun geklärt hat, können die Ansprüche aus den Erwerbsverträgen, die die Mängelbeseitigung des Gemeinschaftseigentums betreffen, aber nach wie vor durch Mehrheitsbeschluss „vergemeinschaftet“ werden. § 9a Abs. 2 WEG nF erfasse jedenfalls nicht die primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer. Diese Ansprüche ergeben sich auch nach neuer Rechtslage nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum, sondern aus den individuellen Erwerbsverträgen, die die Wohnungseigentümer mit dem Bauträger geschlossen haben. Sie erfordern keine einheitliche Rechtsverfolgung. Denn der Wohnungseigentümer, der selbständig die Mängelbeseitigung gegen den Veräußerer verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlverstandenen Interesse aller anderen Wohnungseigentümer, und er darf seine vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen.
Lt. Pressemitteilung des BGH folgt aus der Entscheidung auch, dass eine Vergemeinschaftung durch § 9a Abs. 2 WEG andererseits nicht ausgeschlossen werde. Die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergibt sich in der Sache unverändert aufgrund der Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Dabei soll sich die Entscheidung auf die Gesetzesbegründung zum WEMoG stützen, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bauträgerrecht fortgelten soll, nach der eine Vergemeinschaftung von werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen möglich war.
Die ordnungsgemäße Verwaltung erfordert es nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (z.B. Urteil vom 15.01.2010 – V ZR 80/09, Rn. 11) in aller Regel, einen gemeinschaftlichen Willen darüber zu bilden, wie die Herstellung oder Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums zu bewerkstelligen ist und ggf. welche vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen.
Die Entscheidung erging zu einer Altlastproblematik und betrifft deshalb kaufrechtliche Ansprüche. Die Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsbegründung ist für Januar oder Februar 2023 zu erwarten. Es bleibt abzuwarten, ob sich der für das Werkvertragsrecht zuständige 7. Zivilsenat dieser Rechtsauffassung später anschließen wird. Dem Vernehmen nach soll sich der 5. Zivilsenat mit dem 7. Zivilsenat bei der Behandlung dieser Rechtsfrage abgestimmt haben.
Verfasser: RA C. Nierhaus