Technische Störungen bei der Hybrid-Versammlung – was sind die rechtlichen Folgen?
23 Abs. 1 S. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) begründet eine Befugnis der Eigentümer*innen, durch Beschluss Regelungen über die Online-Teilnahme an der Wohnungseigentümerversammlung zu schaffen. Die Beschlusskompetenz ermöglicht die Öffnung der Versammlung für die Online-Teilnahme im Wege der elektronischen Kommunikation. Dabei darf eine Präsenzversammlung nicht durch Beschluss zugunsten einer reinen Online-Versammlung abgeschafft werden.
Die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel birgt stets die Gefahr technischer Störungen. Führen diese Störungen dazu, dass Wohnungseigentümer*innen seine/ihre Rechte (Anwesenheits-, Rede- und/oder Stimmrecht) nicht ausüben können, ist derzeit umstritten, ob ein Anfechtungsrecht besteht. So sieht für das Aktienrecht § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG vor, dass eine Anfechtung nicht darauf gestützt werden kann, dass durch eine technische Störung Rechte verletzt werden, die auf elektronischem Weg wahrgenommen worden sind, es sei denn, der Aktiengesellschaft ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen. Die Beweislast trägt der Anfechtende. Nach der Gesetzesbegründung soll dadurch die Anfechtbarkeit wegen technischer Störungen vermieden werden. Entsprechende Regelungen finden sich im WEG nicht.
Vertreten wird, dass die Vorschrift aus dem Aktienrecht „erst-recht“ im WEG Anwendung finden muss. Wenn schon in einer Aktionärsversammlung, wo viel Geld für die Technik ausgegeben wird, technische Störungen nicht zu Anfechtbarkeit des Beschlusses führen sollen, dann müsse dies doch ebenfalls in einer Eigentümerversammlung mit kleinem Budget gelten. Die Gegenansicht weist darauf hin, dass der Gesetzgeber sich ausdrücklich gegen die Übernahme einer entsprechenden Vorschrift entschieden habe. Das „Anfechtungsverbot“ gelte damit nicht.
Eine vermittelnde Ansicht stellt auf die allgemeine Risikoverteilung bei der Teilnahme an einer Versammlung ab. Danach ist der Versammlungsleiter lediglich dafür verantwortlich, dass der Versammlungsraum zur Verfügung steht und allgemein zugänglich ist. Das individuelle Teilnahmerisiko trägt dagegen jede/r Wohnungseigentümer*in selbst. Übertragen auf die Teilnahme mittels elektronischer Kommunikation soll dies bedeuten, dass der Versammlungsleiter den Versammlungsort technisch so ausstatten (lassen) muss, dass eine Teilnahme mittels elektronischer Kommunikation während der gesamten Versammlung grundsätzlich möglich ist. Es muss also gewährleistet werden, dass keine Störungsquelle in der Sphäre der Gemeinschaft besteht, anderenfalls müsste die Versammlung unter- bzw. abgebrochen werden. Dennoch gefasste Beschlüsse wären anfechtbar. Das Risiko anderer Störungen trägt dagegen jede/r Wohnungseigentümer*in. Das Risiko wird also nach Sphären verteilt (= „Sphärentheorie“).
Im Ergebnis überzeugt die „Sphärentheorie“. Es ist bereits fraglich sein, ob die Lage von Aktionär und Wohnungseigentümer vergleichbar sind und ob der Gesetzgeber hier bewusst keine Regelung geschaffen hat. In jedem Fall führt der aus der allgemeinen Risikoverteilung folgende Gedanke zu sachgerechteren Ergebnissen. Die gerichtliche Praxis sollte technische Störungen bei der Hybrid-Versammlung materiell-rechtlich danach wie folgt bewertet: Soweit ein/e Eigentümer*in schuldhaft, sogar „in böswilliger Weise gezielt“ von der Online-Teilnahme (technisch) ausgeschlossen wird, wären – ungeachtet der hier aufgezeigten Diskussion – dennoch gefasste Beschlüsse sogar nichtig (und müssten nicht fristgemäß angefochten werden). Bei den eigentlichen technischen Störungen ist dagegen maßgeblich, in welcher Sphäre diese auftreten. Das Risiko von Störungen im häuslichen Bereich trägt jede/r Online-Teilnehmer*in selbst. Im Falle einer technischen Störung im Bereich der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist maßgeblich, inwieweit sich die Folgen dieser technischen Störung auf das Beschlussergebnis tatsächlich ausgewirkt haben. Nur bei einer nicht widerlegbaren Kausalität wäre eine Anfechtung begründet.
Eine Beschlusskompetenz, einen an die Regelung des § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG angelehnten Ausschluss des Anfechtungsrechtes zu beschließen, besteht nicht. Entsprechende Beschlüsse wären nichtig. Dagegen kann bereits in einem Vorbereitungsbeschluss für eine zukünftige Online-Teilnahme der Versammlungsleiter angewiesen werden, wie er im Falle einer technischen Störung zu reagieren hat. So könnte z. B. beschlossenen werden: „Bei einem Ausfall des Videokonferenzsystems wird der Verwalter die Eigentümerversammlung zunächst unterbrechen und versuchen, das Konferenzsystem neu zu installieren. Soweit ein Neustart des Videokonferenzsystems nicht in angemessener Zeit möglich ist und eine Teilnahme der virtuell teilnehmenden Eigentümer*innen (technisch) nicht anderes gewährleistet ist, ist die Versammlung abzubrechen“.
Es bleibt abzuwarten, wann und wie der BGH die Frage entscheidet. Ärgerlich sind dagegen wiederholte Wortbeiträge, wonach Vorbereitungsbeschlüsse nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG grundsätzlich nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen dürften, da weder die technischen Voraussetzungen vorliegen würden noch der Gesetzgeber eine sichere Rechtslage geschaffen habe. Bereits heute macht die moderne Technik (fast) alles möglich und das WEG will die Hybrid-Versammlung. Von daher sollten die gesetzlichen Möglichkeiten da genutzt werden, wo es Sinn macht (kleinere Gemeinschaft; Gemeinschaft mit örtlich verstreuten Kapitalanlegern; „junge Gemeinschaft“). Für Verwaltungen dürften erste Erfahrungen mit Hybrid-Versammlungen und der dort eingesetzten Technik zudem zum Wettbewerbsvorteil werden. Insoweit bleibt zu hoffen, dass sich die Rechtsprechung den technischen Möglichkeiten gegenüber offen zeigt und die Verwaltungspraxis Mittel und Wege findet, wie sich künftig „rechtssichere“ Hybrid-Versammlungen durchführen lassen.
Verfasser: RA Carsten Küttner